Kapitel 10 - Briefe aus London

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Wie von Marissa vorausgesagt, war keine zwei Tage nach ihrem Gespräch mit Bonnie ein Brief in deren Haus geflattert, in dem Mr. und Mrs. Elroy den Neuankömmling herzlich zu ihrer Gesellschaft einluden.
Laut dem Schreiben war es eine semi-offizielle Angelegenheit, bei der es kräftig zu trinken und zu essen und ein bisschen Musik geben würde. Je länger Bonnie darüber nachdachte, desto mehr freute sie sich auf den Abend, auch wenn er Miss Stafford einen weiteren Anlass dazu gab, ihre häufigen Besuche auf Primrose Cottage nicht einzuschränken.

Am Morgen der Gesellschaft schien Marissa jedoch anderweitig beschäftigt zu sein und Bonnie hatte Gelegenheit, sich ein wenig von der anspruchsvollen Nachbarstochter zu erholen. Nach einem ausgedehnten Frühstück und einem müßigen Spaziergang durch die Wälder, die das Cottage umgaben, kehrte sie heim.

Bridgit, ebenfalls erleichtert über einen Tag ohne Besucher, half ihr wie üblich aus dem Mantel. "Einen Moment noch, bitte. Sie haben einen Brief erhalten, Miss. Er war von ... entschuldigen Sie vielmals, wo hab' ich ihn denn...", murmelte sie konzentriert, während sie sich langsam, mit zusammengekniffenen Augen, durch den Stapel Briefe auf dem Tischchen neben der Tür wühlte.

Bonnie bemühte sich keine Ungeduld darüber zu zeigen, dass es eine ganze Weile dauerte, bis die Haushälterin Erfolg hatte. Stattdessen fragte sie sich, wer ihr denn geschrieben haben mochte. Von ihren Londoner Freunden würde sie bestimmt nichts hören; womöglich war der Brief von ihren Eltern? Das Pflichtgefühl könnte sie dazu veranlasst haben ihr zu schreiben, vor allem ihrem Vater schien der erkaltete Kontakt zwischen Eltern und Tochter in London zugesetzt zu haben. Da er jedoch allgemein ein ziemlich unterwürfiger Ehemann war, wusste Bonnie, dass Mrs. Reading ihm keine sentimentalen Briefe gestatten würde.

Umso überraschter war Bonnie deshalb, als Bridgit einen Umschlag mit dem Absender aus dem Stadthaus ihrer Eltern hervorzog. Mit aufquellender Freude nahm sie ihn entgegen; immerhin war es der Vorschlag der beiden gewesen, dass sie sich aufs Land zurückzog, vielleicht hatten sie begonnen ihr zu verzeihen?

"Oh, da ist sogar noch einer für Sie dabei", rief die Haushälterin überrascht aus und hielt ihrem Gast lächelnd einen zweiten Umschlag hin. "Na los, gehen Sie schon und lesen Sie sie."

Bonnie warf ihr einen dankbaren Blick zu und verschwand in ihr Zimmer. Auch wenn sie Bridgit schätzte, war es ihr dennoch lieber Briefe im Privaten zu lesen. Wer wusste schon, was darin stand.

Mit zittrigen Händen nestelte sie den ersten Umschlag auf und zog ein kurzes, weißes Stück Papier heraus auf dem einige fein säuberlich geschriebene Sätze in der Handschrift ihrer Mutter standen. Da der Brief ein wenig zu kurz war, um versöhnliche Gedanken auszutauschen, schwante Bonnie Übles.

Bonnie,

hoffentlich ergeht es dir gut im Haus von Mr. Northwood und er ist so angenehm, wie dein Vater nicht müde wird zu betonen. In London ist alles unverändert, weshalb Mr. Reading und ich uns auch entschieden haben ein Haus außerhalb der Stadt zu beziehen. Unsere neue Adresse liegt dem Schreiben bei, falls du in Zukunft etwas brauchen solltest sind wir dort zu erreichen.

Herzliche Grüße an deinen Gastgeber, vergiss nicht ihm zu danken.
- Mrs. Margret Reading

Wie erwartet hatte sie der Inhalt enttäuscht zurückgelassen; entmutigt ließ sie das Stück Papier sinken, dass sie beim Lesen umklammert gehalten hatte. Kein Wort davon, dass es ihr erlaubt wäre zurückzukehren. Keine Erwähnung irgendwelcher Gefühle bezüglich ihrer schwierigen Beziehung. Nicht einmal eine Rüge, weil sie ihnen nicht geschrieben hatte, enthielt der Brief. Mit einem kleinen Seufzer ließ Bonnie sich rückwärts auf das gemachte Bett hinter ihr fallen und atmete tief durch. Was hatte sie denn schon groß erwartet? Das war die Person, die ihre Mutter war. Nachtragend und kleinlich, immer bedacht auf die Meinung der anderen. Bonnie hatte bloß nie gedacht, dass sie in die Position kommen würde, diese negativen Eigenschaften von Mrs. Reading am eigenen Leib zu erfahren.

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