Kapitel 24 - Dorfgeflüster

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Der Jänner des neuen Jahres brachte eisige Kälte und Schnee mit sich; doch für Marissa Stafford barg er ebenso einige Veränderungen, auf die sie liebend gerne verzichten hätte können. Die Hände tief in den pelzigen Handwärmer vergraben, den sie auf dem Weg durch den Schnee an sich gespresst hielt, fragte sie sich, wie das Leben in Maplehill sich bloß so verändert haben konnte.

Der größte Dorn in ihrem Auge war ihr impulsiver Bruder, der ihre Freundin Ms. Agnes Hammond von ihr gestohlen hatte, als wären Marissas Verkupplungsversuche mit Ms. Reading spurlos an ihm vorübergegangen. Sie hatte schon vor langer Zeit die scheuen Blicke bemerkt, die Agnes ihm zuwarf, wenn sie dachte, dass keiner sie sehen konnte. Auch Henrys stetige Aufmerksamkeiten der jungen Frau gegenüber erschienen ihr und dem Rest der Staffords im Nachhinein in einem ganz anderen Licht. Doch wie konnte sie die fortschreitende Entwicklungen der Beziehung nicht bemerkt haben? Waren die beiden um sie herumgeschlichen? Hatte Henry absichtlich mit den Hoffnungen seiner Schwester gespielt?
Fest stand, dass Henry nüchtern gesehen eine scheußliche Wahl getroffen hatte. So sehr Marissa ihre junge Freundin schätzte, so musste sie sich auch eingestehen, dass Agnes nichts zu bieten hatte. Weder bedeutete der Name ihrer Familie etwas, noch brachte sie ein nennenswertes Vermögen in die Verbindung ein. Ms. Reading hingegen wäre nach der Hochzeit mit einem weitaus stattlicheren Erbe bedacht gewesen und hätte Henry sogar zu einem eigenen Stadthaus in London verholfen. Der Gedanke, dass er unabhängig davon den gesamten Besitz seines Vaters erben würde, stimmte Marissa nicht milder. Im Gegenteil, sie verfluchte ihn für seine Freiheiten. Was gäbe sie nicht dafür, dieselben zu besitzen.

Abgesehen davon störten Ms. Stafford selbstverständlich Mr. Northwood und sein wachsendes Desinteresse an allem, was sie selbst betraf, über alle Maßen. Vor Ms. Readings Ankunft war er in allen Kreisen als zurückgezogener Gentleman mit den besten Manieren bezeichnet worden, doch mittlerweile fand man ihn öfter in Gesellschaft denn je zuvor. Wie siamesische Zwillinge bewegten Ms. Reading und der Herr von Primrose Cottage sich die meiste Zeit über zusammen durch den kleinen Ort, der sich darüber seine eigenen Meinungen gebildet hatte. Ein sehr fürsorglicher Mensch, dieser Mr. Northwood, ein wirklich guter Mensch, hörte Marissa die Stimme ihres Vaters als würde er direkt neben ihr stehen und musste tief einatmen, um ihren Ärger zu kontrollieren.

Von wegen gutartig und verwandschaftlich!

Ihre Wangen wurden rot vor Scham und Ärger gleichermaßen, als sie an das Gespräch dachte, dass sie bei ihrem letzten Besuch auf Primrose Cottage belauscht hatte. Eigentlich war sie dort gewesen, um Frieden mit der Nachbarin zu schließen, die womöglich ihre einzige vernünftige Gesprächspartnerin seit dem Sommer gewesen war. Doch dann hatte sie von ihrem Ausflug noch etwas ganz anderes erhalten, nämlich die Gewissheit, dass Ms. Reading aus ihren Fehlern in London nicht gelernt hatte.
Ist das so, konnte sie Bonnies Stimme noch immer durch die halbgeschlossenen Türen des Salons vernehmen. Ich habe die Briefe gelesen, Nathan.
Es war ein Kinderspiel für sie gewesen, seine Briefsammlung zu finden - immerhin betrachtete sie das Cottage seit vielen Jahren als ihr zweites Zuhause. Die Vermutung über den Inhalt der Schriftstücke war schon lange da gewesen; noch nie zuvor hatte Mr. Northwood von Verwandten gesprochen, schon gar nicht freundlich. Trotzdem hatte sie nicht glauben wollen, dass jemand wie er einen solchen gesellschaftlichen Fauxpas riskieren würde. Und wofür? Eine Fremde, die er kaum kannte.

"Marissa! Könntest du etwas langsamer gehen und auf deinen alten Bruder warten?", rief Henry ihr zu, der sich viele Meter hinter ihr in einem gemütlicheren Tempo fortbewegte. An seiner Seite Agnes, dick eingepackt und mit roten Wangen.

Ihre ganzen Gefühle in die Füße steckend, hatten sich Marissas Schritte beschleunigt, bis sie den Weg ins Dorf hinunter beinahe lief. Nasser Schnee hatte feste Klumpen an der Seite ihrer Schuhe gebildet und sie schüttelte ihn ärgerlich ab. Was für eine lächerliche Idee, bei solch einem Wetter zu Fuß zu gehen.

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