Kapitel 26 - Ehrliche Arbeit

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Der Morgen verflog und ehe Bonnie sich versah, stand eine bedrohlich über ihr aufgebaute Bridgit in ihrem Zimmer, in der rechten ein kleines Tablett mit Tee und in der linken der liebste Schal des Hausgastes.

"Morgen, Miss. Ich hatte schon gedacht, sie sind krank, weil sie gar nicht zum Frühstück gekommen sind."

Bonnie ließ den leisen Tadel über sich ergehen, der in der Stimme der Haushälterin mitschwang und befreite sich aus dem Berg an Daunen und Strick, der sie bisher vor der Kälte des neuen Tages bewahrt hatte.
Nicht mehr von der tröstenden Wärme umhüllt, stürzte die Realität wieder auf sie ein. Sich gemurmelt bei Bridgit für ihr Fehlen am Frühstückstisch entschuldigend, streckte sie nach einer Sekunde des Selbstmitleids und Widerwillens ein Bein nach dem anderen aus dem Bett, um nach den Hausschuhen zu fischen.
Die Haushälterin platzierte währenddessen das Silbertablett auf Bonnies Nachttisch und richtete ihre gestärkte Schürze.

"Mr. Northwood ...", fragte die blonde Frau vorsichtig nach, während sie in ein weißes Teekleid mit mintfarbener Schleife schlüpfte und Bridgit bestätigte ihr mit einem wissenden Seitenblick, dass Nathan bereits fortgeritten war und frühestens in fünf Tagen zurück wäre.

Nachdem Bonnie anständig angekleidet war, schnappte die Haushälterin sich prompt eine Bürste und begann die ungekämmten Haare der jungen Frau in eine akzeptable Form zu bringen. Die Normalität des Morgens gewann die Überhand und Bonnie hatte ihre Gefühle beinahe sortiert, als Bridgit unerwartet sagte: "Wenn man Sie so ansieht, Miss, dann könnte man meinen es kam aus dem Blauen heraus."

"Wie meinen Sie das?"

Die Haushälterin legte die Bürste zur Seite und stemmte einen sehnigen Arm in die Hüfte. "Wie lange denken Sie kenne ich den Herrn bereits? Es war nicht allzu schwer zu erkennen, was er vorhat."

Zweifelnd flocht Bonnie ihre langen Haare zu einem schmalen Zopf, den Bridgit ihr dann am Hinterkopf feststeckte. Es überraschte sie nicht sonderlich, dass die langjährige Haushälterin über die gestrigen Ereignisse Bescheid wusste.
"Es war eher ein spontaner Gedanke", wollte sie die Haushälterin über die Details ins Bild setzen, doch diese schüttelte entschieden den Kopf.

"Da wäre ich mir an ihrer Stelle nicht so sicher, Miss", hielt sie mit einem warmen Lächeln dagegen. "So, nun sind sie präsentabel. Werden Sie heute Gäste empfangen?"

Seit Marissa Stafford jedem, der es hören hatte wollen, erzählt hatte, dass Bonnie und Nathan nichts weiter als eine flüchtige Bekanntschaft durch ihren Vater, den guten Mr. Reading, verband, war die Anzahl der Besucher auf Primrose Cottage drastisch gesunken. Ms. Reading erwartete daher einen ruhigen Tag ohne Störungen, an dem sie sich endlich einem guten Buch widmen konnte.
Mit den Gedanken halb in der Bibliothek, halb bei der umstrittenen Plötzlichkeit von Mr. Northwoods Antrag, schüttelte sie daher den Kopf.

Für eine Weile widmeten sich die Frauen ihren jeweiligen Aufgaben; Bridgit machte das Bett, räumte ein wenig auf und tauschte den Wasserkrug an Bonnies Bettseite aus, während diese eine kurze Antwort an Lucille Bensworth verfasste, in der sie ihr trotz höflicher Worte zu ihrem größten Missfallen absagen musste, da sie bald wieder in London residiere, und schließlich den kurzen Brief von Nathan noch einmal las. Der Haushälterin war selbstverständlich nicht entgangen, dass das Gespräch zwischen ihrem Arbeitgeber und der jungen Ms. Reading nicht wie gewünscht verlaufen war, und als sie diese über die Zeilen von Mr. Northwood gebeugt sah, konnte sie sich nicht mehr zurückhalten.

"Primrose Cottage hatte schon zu lange keine Herrin mehr, Miss. Es wäre für uns alle eine Freude, wenn Sie blieben."

Sie bemühte sich den überraschten Blick von Bonnie mit einem aufmunternden Lächeln zu erwidern. Wenn Bridgit auf eines stolz war, dann auf ihre guten Ratschläge mit denen sie auch Mr. Northwood weiterhalf, wenn er am Ende seiner Weisheit angelangt war. Sie hatte jedoch fest vor, dem Hausgast alles vorzuenthalten, das Mr. Northwood ihr im Privaten anvertraut hatte, so sehr es Bonnie auch helfen würde eine Entscheidung zu fällen.
Ihr Anstand verbat der Haushälterin sich allzu sehr in die Angelegenheiten der Herrschaften einzumischen und mehr zu verraten, als ihr zustand, doch sie wollte helfen soweit es ihr möglich war.

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