Die Gastfreundschaft der Elroys ließ nicht zu wünschen übrig; selbst als Neuankömmling fühlte sich Bonnie von der Sekunde ihrer Ankunft an ausgesprochen wohl in dem gemütlich eingerichteten Salon, der an diesem Abend randvoll mit Kartentischen und gut gelaunten Gästen war.
Beim Eintreten war ihr gleich mit großer Erleichterung aufgefallen, dass sie die meisten Gesichter bereits kannte - zweifelsohne einer der Vorteile eines kleinen Ortes - und Mrs. Elroy erklärte sich, noch bevor Henry Stafford Bonnie ein Getränk in die Hand drücken konnte, dazu bereit, sie den restlichen Anwesenden persönlich vorzustellen.Sie hatten gerade eine etwas schwerhörige Dame reiferen Alters hinter sich gelassen, als Mrs. Roberts Bonnie entdeckte. Fröhlich winkte die Schneiderin ihr und der Gastgeberin zu, während neben ihr ein eher unauffälliges Mädchen und ein ebenso schlichter junger Mann warteten, die beide das freundliche Gesicht ihrer Mutter geerbt zu haben schienen. Für Bonnie bestand nämlich kein Zweifel, dass es sich um die Kinder der Roberts handeln musste, und als man ihr diese tatsächlich als Evelyn und Nicholas Roberts vorstellte, lächelte sie bestätigt vor sich hin.
"Mr. Northwood hat in seinen Briefen von euch geschrieben. Und ich lüge nicht, wenn ich behaupte, dass nur Gutes dabei war", erzählte Bonnie den beiden, um das Eis der ersten Begegnung zu brechen.
Bruder und Schwester blinzelten sie freundlich an, während Bonnie noch immer fasziniert davon war, wie ähnlich sie ihrer Mutter sahen. Die gleichen rehbraunen Augen, die geschwungenen Lippen, ... sie selbst glich ihrer Mutter kein bisschen. Ihr eigener Vater hatte oft darüber gescherzt, dass er an der Verwandschaft der beiden zweifeln würde, wenn er die Schwangerschaft nicht selbst miterlebt hätte.
"Mr. Northwood ist immer sehr freundlich, ich bin mir sicher er hat noch kein schlechtes Wort über eine einzige Seele in unserem Ort verloren", erwiderte Evelyn schüchtern, da es ihr offenbar schwerfiel, das Kompliment anzunehmen. Bonnie dachte jedoch an die Zeilen im letzten Brief, die sich auf Marissa bezogen hatten, und musste Ms. Roberts widersprechen. Zumindest innerlich, denn sie entschied sich vor den beiden nicht näher darauf einzugehen.
Stattdessen begann das übliche höfliche Vor-und-Zurück von Fragen über die Wohnsituation, die Dauer ihres Aufenthalts, London und so weiter, bis Mrs. Elroy schließlich zum Essen bat und sich alle um den Tisch versammelten. Da die Sitzordnung von der Hausherrin festgelegt worden war, landete Bonnie zwischen Marissa und Agnes, während Henry ihr gegenüber Platz genommen hatte. Auch der junge Mr. und Miss Roberts saßen in Hörweite, während Mrs. Elroy es sich mit ihrem Ehemann und einigen älteren Gästen am anderen Ende des Tisches gemütlich gemacht hatte.
Bonnie balancierte bald darauf einen Löffel voll heißer Kartoffelsuppe vor sich und wartete ungeduldig darauf, dass sie etwas abkühlen würde, als sie Henrys bohrenden Blick bemerkte. Fragend hob sie eine Augenbraue, ohne den Löffel zu senken.
Mr. Staffords Mundwinkel hoben sich und er lächelte sie offen an, anstatt ertappt wegzusehen.
"Ich hoffe doch, Sie haben nicht vergessen, dass Sie mir die ersten beiden Tänze versprochen haben", meinte er plötzlich.Bonnie schüttelte den Kopf. "Niemals! Ich halte mein Wort, denn ansonsten droht mir Übles, fürchte ich", schloss sie mit einem halbernsten Seitenblick auf Marissa, die ihre schleppende Konversation mit Nicholas Roberts prompt abbrach, um ihrer Entrüstung über diese Unterstellung Luft zu machen.
Als sie endlich zur Genüge die unfairen Bemerkungen besprochen hatte, merkte sie noch an: "Ihr könnt mir die Schuld dafür zuschieben so lange ihr wollt, es ändert nichts daran, dass ihr euch die Tänze gerne versprochen habt. Vielleicht dankt ihr mir dafür eines Tages."
Daraufhin wusste Bonnie erstmal nichts zu sagen, Marissa hatte nämlich durchaus recht.
Ein verstohlener Blick aus den Augenwinkeln zeigte ihr, dass Henry die Worte seiner Schwester offenbar nicht beunruhigten. Im Gegenteil, seine gute Laune schien sich bloß gesteigert zu haben. Erleichtert begann Bonnie wieder zu essen und beschloss Marissas Anspielung nicht allzu ernst zu nehmen.
DU LIEST GERADE
Dorfgeflüster
Romance1811 in England, Maplehill. Eine junge Frau aus London muss vor den bösartigen Gerüchten der Städter in ein kleines Dorf fliehen. Dort wartet scheinbar gar nichts auf Bonnie Reading außer Unmengen an Natur, Stille und langatmigen Teekränzchen. Ein V...