Kapitel 12 - Nicht Bridgits Suppe

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Am nächsten Morgen setzte sich Bonnie ohne Umschweife an den Brief für Mr. Northwood, obwohl sie noch gerne einige Zeit lang untätig herumgelegen wäre. In London hätte sie sich nach dem Frühstück einfach wieder hingelegt, doch in Maplehill war sie wach solange die Sonne schien, ob es ihr nun recht war oder nicht. Sie wusste nicht, ob es an der vielen frischen Luft oder den lärmenden Vögeln vor ihrem Fenster lag; fest stand nur, dass sie unmöglich nach acht Uhr noch zurück ins Bett konnte.

Lieber Mr. Northwood,

begann sie den Briefkopf aufzusetzen und hielt einen Moment lang unschlüssig inne. Er hatte ihr zwar bereits vor einigen Briefen angeboten ihn im Privaten mit seinem Vornamen anzusprechen, doch sie hatte begründete Vorbehalte. Erstens schien es ihr nicht richtig, da sie den Mann noch nicht einmal persönlich kannte. Und zweitens war sie bedeutend jünger als er und somit sollte sie ihm durch die Anrede den nötigen Respekt erweisen, ob er nun Wert darauf legte oder nicht. Bonnie hatte jedenfalls nach London genug davon in gesellschaftliche Fettnäpfchen zu treten und war entschlossen sich in Maplehill an jegliche soziale Normen zu halten.

Sie haben meinen Dank dafür, dass Sie sich um meinen Umgang in Maplehill sorgen, doch Ihre Freundin Miss Stafford scheint mir tatsächlich sehr umgänglich zu sein. Ein bestimmtes Thema, das mir zurzeit nicht zusagt, haben wir bereits besprochen und ich habe ihr Versprechen, dass sie nichts gegen meinen Willen unternehmen wird.
Wie Sie vorgeschlagen haben, habe ich mich Nicholas und Evelyn Roberts vorstellen lassen und die beiden ähneln ihren Eltern sehr, vor allem ihrer Mutter, finden Sie nicht auch? Soweit ich das gestern beurteilen konnte, sind beide äußerst freundlich und zuvorkommend, weswegen ich gut verstehen kann, dass Sie eine gute Meinung von ihnen haben.
Miss Stafford hat über dem Pudding bei Mrs. Elroy wieder einmal vorgeschlagen, dass wir nach Ihrer Rückkehr eine Gesellschaft auf Primrose Cottage geben sollten; nachdem ich nun selbst einige freundliche Gesichter in Maplehill kennengelernt habe und mich nicht mehr allzu fremd fühle, bin ich der Idee nicht abgeneigt. Würden Sie bis zu Ihrer Rückkehr darüber nachdenken?

Die frische Luft ist meiner Gesundheit sicher förderlich, ich fühle mich bereits wie ausgetauscht und ich muss nur noch selten an die letzten Monate denken; ich hoffe sehr, dass es Ihnen ebenfalls wohlergeht in London und Sie sich nicht überarbeiten. Wissen Sie bereits wann Sie zurückkehren wollen?

Herzlichst,
Bonnie Reading

Mehr oder weniger zufrieden mit ihrem Schriftstück, lehnte Bonnie sich in ihrem Schreibtischsessel zurück und schob das Stück Papier in einen Umschlag mit der Adresse, an der sich ihr Onkel zurzeit aufhielt. Dabei konnte sie nicht anders, als sich ein bisschen darüber zu wundern, dass er nicht bei ihren Eltern wohnte, immerhin war diese Adresse kaum drei Straßen weiter.
Womöglich mochte Mrs. Reading ihn nicht sonderlich; womöglich hatte er ihnen auch nur keine Umstände bereiten wollen. Doch, dass er bei all seinen geschäftlichen Besuchen in London den Readings nie seine Aufwartung gemacht hatte, beschäftigte Bonnie trotzdem noch den ganzen Weg hinunter in die Küche, wo sie Bridgit schließlich fand.

"Guten Morgen, Miss. Sind Sie wohlauf?"

Bonnie bejahte die Frage der Haushälterin wie üblich und beantwortete geduldig zwei Dutzend freundlicher Nachfragen zu der Abendgesellschaft, bevor sie ihr den Brief überreichte und darum bat ihn bald loszuschicken.
Bridgit warf einen beiläufigen Blick auf den Empfänger und blieb daran hängen. Für einen Moment schwebte ihre Hand mit dem hölzernen Kochlöffel darin in der Luft, doch als Bonnie gerade begann um die Suppe darin zu fürchten, war er schon wieder in einem Topf gelandet und Bridgit kochte fleißig weiter.

"Sie und der Herr schreiben sich sehr viele Briefe in letzter Zeit", stellte sie fest und Bonnie meinte einen missbilligenden Unterton herauszuhören, der gar nicht zu dem sonstigen Betragen der Angestellten passte. Außerdem gab es absolut keinen Anlass dazu, denn nichts an einem regen Briefverkehr mit einem abwesenden Verwandten war verwerflich.

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