Kapitel 20 - Mrs. Lucille Bensworth

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28. Jänner, Primrose Cottage

Bonnies Existenz war seit der Bitte Mr. Northwoods, sie möge sich aus allen Geschicken heraushalten, die ihn und Ms. Stafford betrafen, recht einsam gewesen. Da Henry noch immer verreist und Agnes bettlägrig war - man hatte sie nach London zu einer Verwandten der Staffords geschickt, um sie in der Nähe eines fähigen Arztes zu wissen -, war Marissa die einzige Besucherin aus Stafford Hall. Bonnie überlegte seither täglich ihrer Freundin alles zu erzählen, das von Mr. Northwood gekommen war, doch es schien ihr nicht besonders weise, die Überbringerin solcher Nachrichten zu sein und daher hatte bisher kein einziges Wort darüber ihre Lippen verlassen. Dies bedeutete jedoch, dass Marissa, deren liebstes Gesprächsthema Nathan und ihre Zukunft als Mrs. Northwood war, ihre Besuche bei weitem nicht mehr so häufig durchführte wie bisher.

Einmal abgesehen von ihren eigenen komplizierten Gefühlen in Bezug auf die Zurückweisung von Ms. Staffords Bemühungen, hatte das neue Jahr bisher nur gute Veränderungen gebracht wie es die ertragbare Anzahl von Treffen mit Marissa eine war.
Zum anderen hatte Henry Staffords Abwesenheit und der träge Briefkontakt zu ihm Bonnie bestätigt, dass sie ihn nicht sonderlich vermissen würde. Es wäre zwar nett, ab und an mit ihm zu plaudern, doch die Lücke, die er hinterlassen hatte, wurde schnell von einer begeisterten Ms. Roberts gefüllt, die alle paar Tage mit guter Laune und bedeutend weniger unpassenden Scherzen auftauchte.
Selbst das Dilemma mit Marissa und Nathan war ihr in gewisser Weise nützlich gewesen; nach einiger Zeit war ihr Fokus von diesem scheinbar unlösbaren Problem auf andere Familienbande umgeschwenkt. Es war nun zwei Wochen her, dass sie sich ein Herz genommen und einen kurzen, ehrlichen Brief an ihre Eltern geschrieben hatte. Die Antwort war nicht besonders aufregend gewesen, doch zumindest hatte man ihr Schreiben nicht ignoriert, was Bonnie guter Dinge stimmte. Womöglich war nicht alles zwischen ihnen verloren, auch wenn sie bezweifelte, dass es jemals wie früher werden würde.

All diese Ereignisse veranlassten die junge Frau ohne Argwohn auf den Stapel Briefe zuzugehen, den Bridgit ordentlich aufgefächert auf das Tischchen neben der Tür gelegt hatte. Sie steckte den Brief mit dem Absender Mr. Henry Stafford in ihre Rocktasche und hatte sich schon beinahe umgewandt, als ihr ein zweiter Brief auffiel, der an sie adressiert war.

Überrascht entzifferte Bonnie den Absender, doch der Name sagte ihr nichts. Mrs. Lucille Bensworth. Mit einem angedeuteten Schulterzucken ließ sie auch diesen Umschlag in den Rockfalten verschwinden und schnappte sich den dunklen Wintermantel, den die Roberts ihr angefertigt hatten. Womöglich war es jemand, den Mr. Northwood angewiesen hatte, ihr Gesellschaft zu leisten, denn der Hausherr hatte den merklichen Rückzug seines Gastes mit wachsender Sorge beobachtet.
Bonnie selbst fühlte sich ausgenommen entspannt und ausgeruht, nun da Marissa ihre täglichen Besuche eingestellt hatte und sie wieder mehr Zeit für sich selbst fand.

Wie üblich war sie dabei, sich für ihren morgendlichen Spaziergang anzuziehen, ein neuer Zeitvertreib, der ihr die langen Tage ausfüllte und ihr etwas damit half, sich an die klirrende Kälte in Maplehill zu gewöhnen. Wie üblich folgte sie dem Weg für einige Minuten durch den verschneiten Wald, bis sie beschloss eine Pause einzulegen und sich die Briefe anzusehen.
Die schneebeladenen Äste und Sträucher bildeten abstrakte Formen, welche die grelle Wintersonne einfingen und miteinander um die Wette glitzerten. Bonnie, die Schnee aus London kaum kannte, wurde es nicht müde, das winterliche Kleid des Waldes zu betrachten, unabhängig davon wie oft sie schon hier draußen gewesen war.

Mit wachsendem Desinteresse las sie Mr. Staffords Brief aus London, der nichts besonderes enthielt und schalt sich dafür, die Neuigkeiten aus dem Leben ihres Freundes nicht mit Spannung zu erwarten. Einige kurze Anmerkungen zu den Unannehmlichkeiten einer beengten Stadtwohnung, den erfreulichen neuen Bekanntschaften, die Henry gemacht hatte, und schließlich einige Gegenfragen sowie seine besten Wünsche für Bonnies Verbleib, waren alles was das Schriftstück enthielt. Bei seiner Abreise hatte er sich scheinbar nicht nur von Maplehill, sondern auch von seinen überschwänglichen Komplimenten und kruden Witzen verabschiedet. Sie fragte sich insgeheim, ob eine der neuen Bekanntschaften eine Rolle darin spielte, doch wollte nicht spekulieren. Marissa war der beste Beweis dafür, dass es niemandem half, zu viel in das Verhalten anderer Menschen hinein zu interpretieren.

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