Bridgit war nirgendwo aufzufinden. Bonnie wanderte durch den Garten, der bei den winterlichen Temperaturen mehr denn je einem verwilderten Waldstück glich, und fragte sich, ob es zurzeit modern war spurlos zu verschwinden.
Die jungen Damen in London hatten sich schon albernere Trends ausgedacht, beschloss sie schließlich, während sie ihre bloßen Finger in den tröstlichen Schutz ihres dunklen Wintermantels zurückzog. Womöglich tauchten Bridgit und Ms. Hammond nächste Woche zusammen zum Frühstück auf, überdreht lachend und rundum gesund, sodass man nach einigen ausführlichen Besprechungen ihrer Abenteuer schon nicht mehr daran denken würde. Einen anderen Ausgang der Dinge wollte Bonnie gar nicht erst in Erwägung ziehen; die realistischere Überlegung, dass Agnes mit einem Mann davongelaufen und Bridgit bloß Eier holen gegangen war, sagte ihr schlichtweg nicht zu.Eine kräftige Frauensilhouette auf dem Weg vor dem Haus ließ Bonnie ihre Überlegungen verwaisen und mit sorgfältig gerafften Röcken auf diese zulaufen. Wenn ihre Augen sie nicht täuschten, dann musste das die vermisste Haushälterin sein; leider ohne Ms. Hammond, dafür jedoch mit einem verdächtig nach Frühstück aussehenden Korb am Arm.
Bonnie nahm geschwind den kleinen Umweg durch den Garten und kam schließlich noch vor Bridgit an der Haustüre des Cottages an.
"Einen guten Morgen, Bridgit!", rief sie der lächelnden Frau entgegen, die blassblauen Stoffbahnen ihres Rocks wieder sinken lassend.
"Ebenfalls, Miss. Weshalb laufen Sie denn im Nebel herum, Sie werden sich noch eine Erkältung holen."
Bonnie war kurz versucht die Schuld auf ihre Gesprächspartnerin zu schieben, doch dann gestand sie sich die Wahrheit ein. "Nun ... ich fühle mich seit gestern nicht richtig und konnte einfach nicht alleine auf meinem Zimmer bleiben und grübeln. Ich fürchte, Ms. Stafford und ich hatten eine kleine Auseinandersetzung."
Ohne ein Zeichen der Überraschung nickte Bridgit und befand Bonnies Erklärung augenblicklich für glaubwürdig. Sie selbst habe bereits ab und an beim Anblick Marissas nach dem Kochlöffel greifen wollen, doch das könne sie dem Herren so nicht sagen.
"Ein so geduldiger Mann wie Mr. Northwood muss Nerven aus Stahl haben, Miss. Ich bin mir gar nicht darüber im Klaren, wie Sie es ein halbes Jahr lang auf Ms. Staffords guter Seite ausgehalten haben."Bonnie, die es nie für sonderlich schwer gehalten hatte, Marissas Freundin zu bleiben, seufzte. Würden sie sich wieder vertragen? Oder war sie für den Rest ihres Aufenthaltes in Maplehill dazu verdammt, allein in Ms. Roberts eine Gefährtin zu wissen? Die Haushälterin hielt ihr die Türe auf und scheuchte sie energisch ins Innere, um das Frühstück für ihren Gast vorzubereiten. Bonnie folgte ihr in die Küche und ließ sich auf einen Schemel am Ofen sinken.
"Wissen Sie, ich fand Ms. Stafford immer recht angenehm. Sie mag ihre Schwierigkeiten mit den Grenzen anderer Menschen haben, doch solange man sie hin und wieder darauf hinweist, lässt es sich gut mit ihr aushalten", behauptete Bonnie, die Hände vor sich ausgestreckt, um die Wärme des Feuers aufzufangen.
Bridgit wackelte mit dem Kopf, als könne sie dieser Aussage nicht vollständig zustimmen. "Dann hoffe ich, dass Sie nie ihre andere Seite zu spüren bekommen."
Die Tür des Seiteneingangs flog auf und ein Junge, womöglich um die vierzehn, kam hereingestolpert. Mit sich brachte er die beißende Kälte des Wintermorgens.
"Was ist denn los, Peter? Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass ..."
"Ihr Feuerholz, Mrs. Bridgit", er hielt kurz irritiert inne, als Bonnie über seine mehr oder weniger richtige Anrede der Haushälterin kicherte, "Aber eigentlich bin ich wegen 'was ganz anderem hier. Guten Morgen, Miss. Haben Sie es schon gehört?"
DU LIEST GERADE
Dorfgeflüster
Romance1811 in England, Maplehill. Eine junge Frau aus London muss vor den bösartigen Gerüchten der Städter in ein kleines Dorf fliehen. Dort wartet scheinbar gar nichts auf Bonnie Reading außer Unmengen an Natur, Stille und langatmigen Teekränzchen. Ein V...