Kapitel 25 - Ein Abschied

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Das Knistern des Feuers im Kamin und das leise Schlurfen von seidenen Hausschuhen waren eine Weile lang die einzigen Geräusche, die den Salon erfüllten. Weder Bonnie noch Mr. Northwood sagten etwas; Nathans Augen waren auf die Flammen vor sich gerichtet, als würde er in ihnen eine Antwort suchen.

Bonnie hingegen tigerte auf und ab, in Gedanken die Szene ihrer Rückkehr vor Augen: Eine missmutige Mrs. Reading, die sie keines Blickes würdigen würde, ein enttäuschter Mr. Reading, der nicht mit ihr umzugehen wusste und abgesehen von diesen beiden Menschen keinen Kontakt zur Außenwelt bis man ihr eine Stelle als Gouvernante fand.

Nathan seufzte schließlich und sah zu Bonnie, als wäre bereits alles entschlossen. "Deine Reaktion lässt darauf schließen, dass du nicht gehen willst."

Endlich hielt sie inne, dem Gastgeber ein bedauerndes Lächeln zukommen lassend. "Natürlich nicht. Du weißt genauso gut wie ich, was mich in London erwartet."

Die Frage nach der Sehnsucht nach Hause zu kommen ersparte er sich aus Rücksicht auf Bonnies aufgewühlten Zustand. Mr. Readings Worte hatten keinen Zweifel darüber bestehen lassen, dass Bonnies Eltern die Heimkehr ihrer Tochter nicht zelebrieren würden.
Stattdessen nickte er bloß.

Bonnie nahm auf dem gegenüberliegenden Sessel Platz und strich mit einigem Nachdruck das blütenweiße Blatt Papier glatt, das sie noch immer umklammert hielt.
"Es ist kaum zu glauben. Zuerst schicken sie mich fort und dann verlangen sie aus heiterem Himmel, dass ich zurückkehre", beschwerte sie sich aufbrausend über das wankelmütige Verhalten ihrer Eltern, das sie fort von ihren neuen Freunden und Primrose Cottage reißen würde. So hatte Bonnie sich das Ende ihres Aufenthalts auf jeden Fall nicht vorgestellt.

"Ich verstehe deinen Ärger, aber es ist wahr, dass du nicht länger bei mir leben solltest", hielt Mr. Northwoods sachlich dagegen. Auf den etwas verletzten Gesichtsausdruck seiner Gesprächspartnerin fügte er allerdings mit sanfterem Tonfall hinzu: "Die Leute reden bereits über uns. Denkst du es wird besser?"

"Aber Gouvernante ...", Bonnie blieben die Worte im Hals stecken und sie hörte ihre Stimme brechen, also räusperte sie sich und begann erneut, "Niemals hatte ich das Verlangen Gouvernante zu werden. Sie werden mich bestimmt an das andere Ende der Welt schicken."

"Schlimmer als Maplehill kann es nicht werden", hielt Nathan mit einem angedeuteten Grinsen dagegen und hätte Bonnie beinahe dazu gebracht zu lächeln.

Die vernünftigen Worte ihres Gastgebers halfen Ms. Reading schließlich die Ereignisse in die richtige Perspektive zu rücken. Was waren ihre Alternativen? Alleine, alt und grau in einem Londoner Mietshaus zurückbleiben? Sich zurück in London dem Erstbesten versprechen, der bereit war über ihre Vergangenheit hinwegzusehen, geschweige denn es gab so jemanden?
Nein, dachte sie mit schwerem Herzen, womöglich hat man die richtige Entscheidung für mich getroffen. Zumindest würde sie als Gouvernante Teil einer Familie sein und einen eigenen Verdienst haben.

Mr. Northwood, der sich wieder dem Kamin zugewandt hatte und einen Schluck seines Brandys nahm, sagte nichts. Für ihn schien die Abreise seines Hausgastes bereits beschlossene Sache zu sein, weshalb Bonnie mit sich übereinkam, ihn nicht länger mit ihrer Starrköpfigkeit zu belasten. Es wollte sich anfühlen, als würde das Leben ihr einen üblen Streich spielen, aber im Endeffekt war es ihre eigene Entscheidung Zuhause in London gewesen, deren Konsequenzen sie nun trug.

"Ich werde mich sofort heimisch fühlen, wenn es nichts zu bieten gibt außer einer Kirche und einigen Schafen."

Nathans dunkle Augen funkelten amüsiert, während er das Glas auf dem Tischchen mit dem Brief abstellte.

"Und falls die Kinder gut erzogen sind, wird die Arbeit bestimmt nicht nennenswert sein", fuhr sie bemüht optimistisch fort, während sie innerlich mit den Tränen rang. Wie lange hätte sie ohne diesen Brief noch in Maplehill bleiben können? Einige Wochen? Monate? Sie musste sich mit Gewalt daran erinnern, dass Primrose Cottage nicht ihr Zuhause war und sie keinerlei Anspruch darauf hatte, hier zu verweilen.
"Ich danke dir, dass du mich in deinem Zuhause willkommen geheißen hast, Nathan. Vermutlich warst du es meinem Vater schuldig, aber trotzdem - danke. Es war schön, eine Auszeit von London und meiner Familie zu haben."

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