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13 Jahre zuvor...

"Irgendetwas stimmt nicht."

"Was meinst du?", fragt Nathan. Wir stehen im Krankenhausflur vor dem Gang der zu den Operationssälen führt. Ich will zu Alex, aber sein großer Bruder will mich nicht durchlassen.

"Ich meine, dass irgendetwas nicht stimmt."

"Und was willst du jetzt von mir?"

Genervt sehe ich meinen Schwager an. "Ich will, dass du in diesen Operationssaal gehst und meinen Ehemann darüber aufklärst, dass etwas nicht stimmt."

"Das kann ich nicht."

"Das kannst du nicht?" Ungeduldig verlagere ich mein Gewicht von einem Bein aufs andere. "Er wird gleich wahrscheinlich Vater, und du willst es ihm nicht sagen?"

"Hast du Schmerzen?"

"Nein."

"Willst du mich verarschen? Ich kann doch keine Operation unterbrechen, nur weil du es im Gefühl hast, dass die Geburt jetzt los geht."

Wenige Sekunden später kommt die erste Wehe. Sie ist nicht stark, aber trotzdem bereitet sie mir Angst. Erschrocken schnappe ich nach Luft.

"Kannst du Alex jetzt bitte holen?"

Im Endeffekt kommandiert Nathan nervös einen Assistenzarzt herum, der Alex informieren und sich um Ersatz für die OP kümmern soll. Dann begleitet er mich zur gynäkologischen Station der Klinik. Währenddessen entschuldigt er sich durchgehend. Es werden einige Untersuchungen durchgeführt. Trotzdem kann man mir noch nicht sagen, ob es jetzt wirklich losgeht.

Alex ruft aus dem Operationssaal auf Nathans Handy an. Es wird wohl noch etwas dauern, bis die Vertretung das Krankenhaus erreichen wird. So lange muss ich noch auf ihn verzichten. Da ich bis jetzt nur leichte Wehen habe, werde ich dazu verdonnert auf dem Flur auf und ab zu gehen. Nathan weicht mir nicht von der Seite. Er, der sonst die Ruhe in Person ist, ist heute ziemlich nervös und hilft mir damit nicht gerade. Als die Fruchtblase platzt verbreitet er so eine Hektik, dass ich ihn, zurück im Kreißsaal, am liebsten aus dem Raum werfen würde.

Es dauert eine ganze Weile bis Alex endlich da ist. Ich kann nur noch liegen, an Bewegung ist gar nicht mehr zu denken. Die Abstände der Wehen werden immer kürzer und meine Geduld sinkt mit jeder Minute die vergeht. Die Türe öffnet sich und Alex nimmt endlich an meiner Seite Platz. Es ist eine willkommene Ablenkung, die nicht lange anhält.

Freundlicherweise erklärt Nathan sich dazu bereit meine Krankenhaustasche zu holen. Es ist fast peinlich wie unvorbereitet wir sind. Das Baby hätte spätestens in vier Tagen geboren werden sollen. Heute wäre Alex letzte Operation vor der Geburt gewesen. Wir hätten ahnen müssen, dass das nicht gut geht.

"Möchten Sie etwas essen?", fragt eine Krankenschwester und bringt mir ein Tablett. Es muss bereits Abend sein. Alex nimmt es entgegen. Auf sein Flehen versuche ich ein paar Bissen von dem Brot zu essen, aber schnell merke ich, dass mir schlecht wird.

Bei der nächsten Untersuchung hat sich wohl immer noch nicht viel getan. Es geht so schleppend voran.

"Vielleicht sollten wir jetzt mal über eine PDA reden?"

Vehement schüttle ich den Kopf. Ich spüre Alex' Blick auf mir. Ich weiß, dass die Situation für ihn auch nicht angenehm ist, aber ich bin die mit den körperlichen Schmerzen. Das Problem ist nicht etwa, dass ich die Geburt unbedingt so natürlich wie möglich erleben möchte oder Angst vor den Nebenwirkungen der Spritze habe. Nein, das Problem ist, dass ich höllische Angst davor habe, dass man mir eine Nadel in den Rücken stechen möchte.

Ich setze mich schließlich durch. Der Versuch, ein bisschen zu schlafen scheitert kläglich. Der schwere Teil hat noch nichtmals angefangen und meine Kräfte schwinden.

Alex sieht nachdenklich zu mir. "Soll ich Kate anrufen?"

"Auf gar keinen Fall." Er lacht. "Bloß nicht, Alex, die steht sonst gleich direkt auf der Matte."

"Hast du Angst?", frage ich Alex später, als wir für einen Augenblick alleine sind. Es ist mittlerweile schon dunkel draußen und die Uhr an der Wand zeigt kurz nach Mitternacht an. Ich kann kaum glauben, dass ich schon so lange hier liege und ausharre. Mittlerweile haben wir auch Alex' Eltern informiert. Alex wusste sich nicht mehr zu helfen, weil er nicht weiß, wie er mir zur Seite stehen kann, und ehrlich gesagt weiß ich es auch nicht.

Er nimmt meine Hand in seine. "Ja." Er sieht auf meinen Bauch. "So lange er da drin ist, ist das irgendwie nicht real. Aber sobald er hier ist, sobald ich die Nabelschnur durchtrennt habe, haben wir eine ziemlich große Verantwortung. Und davor habe ich unglaubliche Angst."

Es folgt die letzte Untersuchung mit der Ankündigung, dass es nun endlich wirklich losgehen soll. Meine Erleichterung ist groß, bis ich das erste Mal pressen musste. Alex Hand ist ganz weiß, weil ich so zugedrückt habe und ich bin der festen Überzeugung, dass ich es nicht schaffen werde dieses Kind zur Welt zu bringen. Ich bin völlig am Ende, habe keine Kraft mehr und bin einfach nur müde.

"Melissa, Sie müssen diese Grenze jetzt überschreiten. Noch einmal, okay?"

Und dann höre ich unser Baby zum ersten Mal schreien. Prompt fange ich an zu weinen. Ich kann mein Glück kaum fassen, als ich das kleine Bündel in den Armen halte, sanft mit meiner Fingerspitze über seine Wangen streiche. Er ist so perfekt.

Alex, der nun über uns gebeugt ist und die kleine Hand seines Sohnes hält, hat ebenfalls Tränen in den Augen. Ich küsse ihn kurz auf die Wange.

Wir werden nach dem Namen des Kleinen gefragt. Ratlos sehe ich Alex an. Wir hatten uns noch nicht einig werden können. Ich war von Anfang an für den Namen Noah, aber Alex hatte noch so viele andere Ideen. Alex sieht ebenfalls zu mir, allerdings mit einem Lächeln im Gesicht.

"Ich denke, dass Noah ziemlich gut zu ihm passt, was meinst du?"

HusbandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt