7

2.2K 96 0
                                    

Am Abend, als ich mit den Kindern am Küchentisch sitze und der Platz ihres Vaters leer bleibt, stellt Emily die unausweichliche Frage. Ich beschließe, nicht zu lügen, aber auch nicht ganz mit der Wahrheit herauszurücken. Schließlich möchte ich die beiden nicht belasten.

"Wo ist Papa?"

"Arbeitet er heute wieder länger?", fragt Noah. Für einen kleinen Moment fühle ich mich bestätigt, doch diesen Gedanken schiebe ich schnell wieder zur Seite. Darum geht es nicht. Es geht nicht um gewinnen oder verlieren. Es geht um unsere Familie.

"Papa ist für ein Tage bei Onkel Nathan."

Emily stochert unzufrieden in ihrem Essen herum. Noah hakt nach. "Warum?"

"Wisst ihr noch, dass wir euch mal davon erzählt haben, dass Nathan im Krieg gekämpft hat?"

"Ja, er war Soldat!"

"Krieg ist doof.", erwidert Emily daraufhin und sieht ihren großen Bruder desinteressiert an.

"Ja, das stimmt, Emily. Jedenfalls hat Onkel Nathan sich dazu entschieden, dass er wieder Soldat werden möchte.  Und Papa verbringt jetzt etwas Zeit bei ihm und hilft ihm dabei alles vorzubereiten."

"Aber ich will nicht, dass Onkel Nathan wieder Soldat wird." Noah legt die Gabel beiseite und verschränkt die Arme vor der Brust.

"Ist das nicht gefährlich?", fügt seine Schwester hinzu. Mit einem kurzen Blick zur Seite legt sie ebenfalls das Besteck weg und verschränkt die Arme in der gleichen Art und Weise wie ihr Bruder.

"Ja, das ist natürlich gefährlich.", stimme ich Emily zu. "Aber Nathan ist schon groß und weiß welche Entscheidungen die Richtigen sind. Ich finde das auch nicht schön, aber wir können ihn ja nunmal nicht dazu zwingen hier zu bleiben. Und jetzt esst, das Essen wird kalt."

*

Am nächsten Morgen bin ich schon geduscht und angezogen, als die Kinder aufstehen. Schnell habe ich ihnen das Frühstück gemacht und während sie sich für die Schule fertig machen, versuche ich schon einmal den Haushalt einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen. Jetzt, wo Alex nicht da ist, muss ich die Kinder zur Schule bringen und anschließend direkt zur Klinik.

Gerade als ich die Haustüre öffnen möchte, öffnet sie sich bereits von außen und mein Ehemann steht vor mir. Die Kinder sind noch oben und holen ihre Schultaschen.

"Was tust du hier?", zische ich. Immer wieder werfe ich einen Blick auf die Treppe.

"Die Kinder zur Schule bringen?"

"Das mache ich schon. Ich komme klar, okay?" Mit verschränkten Armen sehe ich ihn an. Ich weiß nicht, ob ich es als Unterstützung oder als Beleidigung sehen soll, dass er nun auf einmal vor meiner Nase steht.

"Willst du ihnen die Routine jetzt völlig durcheinander bringen?", fragt er energisch.

"Du bist derjenige, der ausgezogen ist, Alex."

Genau in diesem Moment poltern unsere Kinder die Treppe herunter. Freudestrahlend fallen sie ihrem Vater in die Arme. Er führt sie zu seinem Auto, hilft ihnen beim Einsteigen und lässt mich in der Haustür zurück.

Vielleicht ist es doch ein Gewinnen und Verlieren. Aber nicht mit meinen Kindern. 
Mit mulmigen Gefühl im Magen mache ich mich wenig später auf den Weg zur Arbeit. Es ist sehr lange her, dass ich das letzte Mal gehofft habe Alex aus dem Weg gehen zu können.

Im Eingang will ich nur einen kurzen Blick auf das schwarze Brett werfen, doch eine Anzeige lässt mich inne halten. Es ist eine Rechtsanwaltskanzlei.

"Was gibt es denn spannendes zu sehen? Einen Anwalt? Wofür brauchst du denn einen Anwalt?"

Misstrauisch sieht Tobias mich von der Seite an. Schnell mache ich ein Foto von der Anzeige.

"Ignorierst du mich?"

"Ich denke darüber nach mich von Alex scheiden zu lassen.", sage ich schließlich leise, sodass es hoffentlich niemand anderes mitbekommt.

"Wie bitte?"

Wenige Sekunden später finde ich mich in einem leeren Patientenzimmer wieder.

"Warum zur Hölle willst du dich scheiden lassen?"

"Unsere Ehe ist eine Katastrophe. Ich glaube, dass wir uns nicht mehr lieben. Wir streiten nur und die Situation ist für alle unerträglich."

Fast schon enttäuscht sieht Tobias mich an. Er stemmt die Hände in die Hüften.

"Wenn du jemanden liebst, hörst du damit nicht einfach auf. Nie. Ihr müsst doch zusammenhalten, Melissa."

"Aber was ist, wenn wir das nicht mehr können? Ich kann das einfach nicht mehr. Ich hasse das Leben, welches ich führe."

Ich hatte es zuvor nie so ausgedrückt. Nicht einmal den Gedanken hatte ich mir erlaubt. Aber es stimmt und die Tatsache, dass es stimmt treibt mir die Tränen in die Augen. Ich liebe meine Kinder. Ich liebe auch meinen Mann. Das Haus, die Arbeit. Aber irgendetwas daran stört mich.

Tobias kommt ein paar Schritte auf mich zu und schließt mich in seine Arme.

"Dich gehen zu lassen", sagt er leise, "war das schwerste was ich in meinem Leben tun musste. Lass Alex nicht gehen. Halte deine Familie zusammen."

Ich will noch etwas erwidern. Ich will ihm sagen, dass es nicht so einfach ist. Dass ich meine Familie nicht zusammenhalten kann, dass ich die Kraft dazu einfach nicht mehr besitze. Aber die Tür des Zimmers öffnet sich. Ruckartig fahren wir auseinander.

"Hier steckt ihr.", sagt Hannah außer Atem. "Ihr sollt in die Notaufnahme. Eine Gruppe von Schülern war in einen Unfall verwickelt."

Schnell machen wir uns auf dem Weg.  Kurz sehe ich Alex, aber er kümmert sich um jemand anderen. Es ist eine Möglichkeit, dem Drama um mich herum für ein paar Stunden zu entgehen. Ich kann einfach ich selbst sein und tun was ich liebe. An diesem Tag würde ich das Krankenhaus am liebsten gar nicht mehr verlassen.

HusbandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt