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Aus gegebenem Anlass möchte ich an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass das hier ein Buch, also nicht die Realität ist.
Ich weiß, dass Nathans Tod für viele unverständlich ist und ja, es ist ziemlich grausam, aber nein, es wird Alex und Melissa nicht wieder zusammen bringen. Wer mehr über Nathan und dem Sinn des letzten Kapitels erfahren möchte, kann gerne nach diesem Buch das Buch über Nathan lesen.
Trotzdem fände ich es sehr nett, wenn ich in Zukunft in meiner Nachrichtenbox wieder freundliche Nachrichten lesen könnte (falls ich euch noch nicht geantwortet habe, habe ich es noch nicht geschafft die Nachricht zu öffnen).

4 Jahre zuvor

"Mein Großvater hat gerade angerufen. Meine Großmutter ist gestürzt. Ich muss für ein paar Tage zu ihnen fahren."

"Und die Kinder?", fragt Alex. Er sitzt an seinem Schreibtisch im Krankenhaus und tippt etwas in den Computer.

"Ich kann sie nicht mitnehmen, Alex. Meine Großeltern sind alt und ich denke, dass ich mich mal nach einem Pflegeheim für sie umsehen muss."

Seufzend sieht er mich an. Dann widmet er sich wieder dem Computer vor ihm.

"Könntest du damit vielleicht mal kurz aufhören?" Genervt sehe ich ihn an.

"Sorry, ich muss das hier in einer Stunde fertig haben. Wann willst du denn fahren?"

"So bald wie möglich. Schaffst du das mit den Kindern? Es ist nur für ein paar Tage."

"Bleibt mir wohl nichts anderes übrig."

"Das ist nicht gerade die Antwort, die ich hören wollte."

"Was willst du denn hören?"
Nun klingt er genervt und verärgert. Dabei erwarte ich doch nur ein bisschen Verständnis für die Situation und dass er seiner Rolle als Vater gerecht wird und auf unsere Kinder aufpasst.

"Na, dass du das schaffst. Ich bin höchstens drei Tage weg."

"Und wie soll ich das mit der Arbeit machen? Du weißt, dass es im Moment stressig ist."

"Ja, aber kannst du denn nicht einfach für die paar Tage nur vormittags arbeiten?"

"Das kommt gerade ziemlich ungelegen."

Entrüstet sehe ich ihn an. "Ja, Alex, mir kommt das auch ungelegen." Als er nichts mehr erwidert werde ich wütend. Hier geht es einmal um mich und meine Familie und schon macht mein Mann dicht.
"Gut, dann werde ich die Kinder eben mitnehmen."

"Nein, warte.", wendet er ein, als er meine Wut bemerkt. Ich bin schon fast an der Türe, drehe mich aber noch einmal um. Er kommt auf mich zu.
"Tut mir leid. Ich passe natürlich auf die Kinder auf. Vielleicht kann Nathan ja helfen."

"Sicher?"

"Sicher." Er drückt mir einen Kuss auf den Mund. "Und jetzt geh."

*

"Hallo, Melissa.", begrüßt mein Großvater mich, als er die Türe öffnet. Ich begrüße ihn mit einem Kuss auf die Wange und bringe dann erst meine Sachen in mein altes Zimmer. Es ist alles unverändert. Die Straße, das Haus, das Zimmer. So, als wäre ich nie weggewesen.

Meine Großmutter sitzt in einem Rollstuhl im Wohnzimmer. Es scheint ihr den Umständen entsprechend gut zu gehen, aber dass sich etwas ändern muss, steht fest. Meine Großeltern sind zu alt um komplett auf sich alleine gestellt zu wohnen und es gibt keine mir bekannten Verwandten, die sie unterstützen könnten.
Alex und ich wohnen einfach zu weit weg und wir können nicht einfach umziehen.

Meine Mutter war die einzige Tochter meiner Großeltern. Als der Unfall geschah haben sie mich sofort ohne wenn und aber bei sich aufgenommen. Die Familie meines Vaters habe ich nie kennengelernt.
Umso schwerer fällt es mir, dass ich diejenige sein muss, die ein Pflegeheim aussucht und alles organisiert.
Meine Großeltern haben sich jahrelang um mich gekümmert. Jetzt, wo ich an der Reihe wäre, kann ich mich nicht um sie kümmern.

Ich habe deshalb ein furchtbar schlechtes Gewissen. Aber ich kann die Kinder nicht aus ihrem Umfeld reißen. Alex kann seine Arbeit nicht aufgeben. Unser Leben ist in Düsseldorf.
Wenn es nur um mich gehen würde, würde ich sofort zu meinen Großeltern ziehen.
Aber es geht nicht mehr nur um mich.

Glücklicherweise haben meine Großeltern großes Verständnis für die Situation.

"Nein, wir würden gar nicht wollen, dass du dich um uns kümmerst, Melissa.", sagt meine Großmutter, als ich auf das Thema zu sprechen komme.
"Als du zu uns kamst, da warst du ein Kind. Es war selbstverständlich, dass wir uns um dich kümmern mussten. Aber wir sind erwachsen. Und außerdem hatte ich da schon ein schönes Pflegeheim in Aussicht. Mir gefällt der Garten so gut, kannst du dort nicht mal anrufen?"

"Natürlich kann ich das machen. Aber es macht euch wirklich nichts aus?"

"Nein.", erwidert mein Großvater lächelnd. "So lange wir beide zusammen bleiben dürfen ist uns alles recht."

Ich frage mich, ob meine Ehe genauso verlaufen wird, wie die meiner Großeltern. Sie sind seit vielen Jahren verheiratet und immer noch überglücklich. Und ich bin mir sehr sicher, dass das auch immer so bleiben wird.

Bei Alex und mir hingegen kommt es häufiger mal zu Streitigkeiten. Wird Alex mich später, wenn ich alt bin, immer noch genauso lieben, wie jetzt?
Werden wir auch so unzertrennlich sein?

Ich vereinbare schließlich einen Besichtigungstermin mit dem Pflegeheim. Es sind noch Zimmer frei, die wir uns ansehen können.
Das Heim ist privat, also werden erhebliche Kosten auf uns zukommen. Meiner Kalkulation nach sollte das aber alles funktionieren. Alex habe ich angerufen. Wenn auch widerwillig hat er zugestimmt.

Die Zimmer sind sehr einfach eingerichtet, aber wenn meine Großeltern ihre Deko mitbringen, sollte sich ein schönes Zimmer daraus machen lassen.
Besonders gefallen den beiden aber die Gärten.

"Gefällt es euch?", frage ich, während ich den Rollstuhl über den Asphalt fahre. Wir kommen an einem Teich mit Fischen vorbei.

"Ja, sehr."

Mein Großvater stimmt zu. Nachdem wir uns auch den Rest des Gartens angesehen haben, ist die Entscheidung gefallen. Meine Großeltern wollen unbedingt hier her ziehen. Also kümmere ich mich um alle Unterlagen und Papiere.

Am Abend rufe ich Alex an. Die Kinder sind vermutlich schon am schlafen, also hoffe ich, dass er einen Moment Zeit hat.

"Ich habe ein furchtbar schlechtes Gewissen.", gestehe ich.

"Warum? Du kannst doch nichts dafür, dass sie gestürzt ist. Und den Rollstuhl wird sie ja auch bald wieder los."

"Das meine ich nicht."

"Was dann?"

"Na, sie haben sich jahrelang um mich gekümmert, als wäre ich ihr eigenes Kind. Und jetzt stecke ich sie in ein Pflegeheim."

"Aber du hast doch gesagt, dass das ihr Wunsch war. Und sie haben sich das Heim doch selbst ausgesucht."

"Ja, ich weiß.", murmle ich. "Können wir am Wochenende mit den Kindern her kommen? Wir müssen ihnen auch beim Packen helfen."

"Ja."

"Okay." Den Umzug hätte ich nämlich nicht alleine geschafft.

"Ich vermisse dich."

HusbandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt