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Lange können Alex und ich nicht im Wasser bleiben, denn der Nachmittag bricht an und der Strand füllt sich langsam mit Menschen. Wir legen uns wieder auf die Decke.
Ich beobachte, wie ein paar Wolken über uns herziehen. Zwischen Alex und mir ist es still, aber die Stille ist angenehm. Es gibt nichts zu sagen und das ist auch okay so. Also lauschen wir einfach dem Rauschen des Meeres.

Als ich irgendwann meinen Kopf zur Seite drehe, sehe ich, dass Alex eingeschlafen ist, die Arme hinterm Kopf verschränkt. Ich kann nicht anders, als ihn anzusehen. Seine Gesichtszüge sind entspannt. Seine Brust hebt und senkt sich in einem langsamen Rhythmus. Jetzt, in diesem Moment sieht er ganz anders aus. Ich sehe ihn aus einem völlig anderen Blickwinkel.
Er ist in meinen Augen nicht länger der vierzig jährige Mann, der von Verantwortungen überrollt wird und den Anforderungen von Familie und Arbeit nicht gerecht werden kann.
Nein, jetzt gerade, in diesem Moment, sieht er wieder aus wie sechsundzwanzig. Sein ganzes Leben noch vor sich. Als wäre das alles nie passiert.

Und ich frage mich, ob es etwas geändert hätte, wenn er sich eine andere ausgesucht hätte. Wie wäre sein Lebe verlaufen, hätte er sich für Amy entschieden? Wäre er jetzt glücklicher?
Keines meiner Versprechen konnte ich halten.
Dabei war ich doch die, die immer wieder darauf hingewiesen hat, dass ich die perfekte Frau für ihn bin, gerade weil ich auch Ärztin werden wollte. Weil ich Verständnis für ihn aufbringen könnte, wenn andere kein Verständnis aufbringen können.

Ich bin an dieser Situation wohl mehr schuld, als ich mir anfangs eingestehen wollte.
Würde Alex ein glücklicheres Leben führen, wenn wir nicht geheiratet hätten?

Wenn ich Alex so ansehe, wünschte ich, dass dieser Urlaub nie enden würde. Ich meine, ich vermisse unsere Kinder. Aber ich habe Alex ebenfalls vermisst und es ist ein wundervolles Gefühl, dass alles wieder normal zu sein scheint.

Durch das Klingeln meines Telefons zucke ich zusammen. Alex reibt sich verschlafen über die Augen. Ich drücke ihm einen Kuss auf die Wange und durchsuche meine Handtasche nach meinem Handy.

"Es ist Noah.", informiere ich ihn mit einem Blick auf das Display und hebe danach sofort ab. "Hallo?"

"Mama! Du wirst nicht glauben, was passiert ist!"

"Was ist denn passiert?", frage ich verunsichert. Sorge macht sich in mir breit.

"Emily hat die Oreo-Kekse, die du uns gekauft hast mit Zahnpasta manipuliert und den Betreuern geschenkt."

"Was?"

Alex, der meine Verunsicherung bemerkt, setzt sich nun ebenfalls auf. Mit einem fragenden Blick sieht er mich an, doch ich schüttle nur mit dem Kopf. Im Hintergrund kann ich Emily hören. Sie fragt ihren großen Bruder, ob er mir von dem Streich erzählt hat. Als er sie abwimmelt, nimmt sie ihm scheinbar sein Handy aus der Hand, denn im nächsten Moment höre ich ihre Stimme klar und deutlich durch den Hörer.

"Und, was sagst du, Mama?", fragt sie. Ich meine einen Anflug von Stolz in ihrer Stimme hören zu können.

"Warum hast du das gemacht, Emily?", frage ich vorwurfsvoll. "Was hatten wir zum Thema Benehmen besprochen?"

Emily stöhnt genervt auf. "Gibst du mir mal bitte Papa?"

Wortlos reiche ich den Hörer an Alex weiter. Er nimmt ihn an und hält ihn ans Ohr. Mit verschränkten Armen sehe ich ihm dabei zu, wie er sich die Ereignisse von seiner Tochter erklären lässt. Ein Grinsen ziert sein Gesicht.

"Hast du das wirklich gemacht?", fragt er lachend. "Ich bin stolz auf dich!"

Empört sehe ich ihn an, doch er zwinkert mir nur kurz zu. Das Telefonat geht noch einige Minuten so weiter, dann teilt Alex den Kindern noch mit, dass wir sie beide lieb haben und legt auf. Lachend gibt er mir mein Handy zurück.

"Ist das dein Ernst?"

"Ach komm schon, Melissa. Das macht man nunmal im Ferienlager. Nathan und ich haben das ständig gemacht."

Beim Erwähnen seines Bruders wird sein Blick kurz nachdenklich, doch er fängt sich überraschend schnell und lächelt mich an.

"Ich war nie im Ferienlager.", gestehe ich. Überrascht sieht Alex mich an.

"Nicht?"

Ich schüttle den Kopf. "Nein, wer hätte mich denn hinschicken sollen? Aber ja, du hast Recht. Fabian und ich haben auch immer Streiche gespielt."

Bei der Erinnerung an die Zeit, die ich in meiner Kindheit mit meinem besten Freund Fabian verbracht habe, muss ich lächeln. Vor uns war niemand sicher. Manchmal wünschte ich, noch einmal zurückgehen zu können. Ich habe in meinem Leben viele Fehler gemacht. Wahrscheinlich gehört das einfach zum Erwachsensein dazu, viele Dinge zu bereuen, die man nicht mehr ändern kann.

"Hier in der Nähe ist ein ziemlich guter Italiener.", sagt Alex, während er sich streckt.
"Willst du hin?"

Ich nicke. Gemeinsam machen wir uns daran unsere Sachen aufzuräumen und sie ins Auto zu bringen. Den Weg zum Restaurant gehen wir dann aber zu Fuß. Wir sitzen draußen auf einer Terasse und haben beim Essen den perfekten Blick auf den Strand.
Anschließend gehen wir zum Auto zurück. Die Sonne geht gerade unter, also beschließen wir noch einmal zurück an den Strand zu gehen.
Auch der Sonnenuntergang ist genauso schön wie vor vierzehn Jahren. Ich kann meinen Blick kaum davon abwenden, während wir mit den Füßen im Wasser stehen, die Wellen meine Knöchel umspielen und Alex' Hand auf meiner Hüfte ruht. Aber Alex sieht nicht aufs Meer hinaus. Er sieht mich an.

"Du bist immer noch viel schöner als der Sonnenuntergang."

Ich kann nicht anders, als ihn anzulächeln. Er erwidert mein Lächeln. Dann sehe ich wieder aufs Meer hinaus.
Wenn das, was wir hier haben, auch Zuhause wieder funktioniert, dann gibt es wirklich noch Hoffnung.
Hoffnung darauf, dass Alex und ich wieder nach vorne blicken können.

HusbandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt