Kapitel 11

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Gegenwart

Tränen fließen mein Gesicht herunter, mit einer Hand presse ich das Telefon an meine Brust und blicke in den Himmel. Ein Propellerflugzeug gleitet durch die Lüfte und hinterlässt weiße Linien auf dem Blau des Himmels. Das Geräusch des Propellers dringt an mein Ohr und katapultiert mich in eine Zeit vor fünf Jahren zurück. Ich schließe die Augen und für einen kurzen Moment rauschen Bilder an meinem inneren Auge vorbei. Eine Frau mit blonden langen Haaren. Kufen, wie sie sich ins kalte Eis bohren. Ein helles Lachen gefolgt von einem dunklen. Ein Jahrmarkt. Eiskalte Hände. Dunkle Zimmer und ein Weihnachtsbaum. Tränen, die ihr Gesicht herunterlaufen... und immer wieder sein Gesicht vor ihrem. Kindergeschrei unterbricht meine Gedanken und bringt mich wieder in die Realität zurück. Eine Hand wandert fast wie automatisch auf meinen Bauch, das Gefühl, von dem ich mir sicher war, das es seit Jahren verschwunden war, kam wieder in mir hoch. Das Gefühl, das ich immer wieder versucht hatte zu unterdrücken. Der klitzekleine Teil in meinem Herzen, der hoffte, dass er irgendwann zu mir zurück kam. Ich schlucke, stehe auf und wische mir die Tränen weg. Dann greife ich nach meiner Tasche und laufe los. Meine Füße sind schwer, während ich durch den grün bewachsenen Park laufe. Mein Kleid spannt über die kleine Kugel, während meine Hand immer noch auf meinem Bauch liegt. Die vier Häuserblocks bis zu unserem Haus habe ich in weniger als fünfzehn Minuten hinter mich gebracht. In der Einfahrt des Hauses halte ich kurz inne und betrachte mich in der Fensterscheibe des schwarzen Geländewagens. Er war robust und stabil. Ganz anders als der Camaro, dessen Bild mir nun vor meinem inneren Auge schwebt. Ich schüttele kurz meinen Kopf und schaue in mein Spiegelbild, dessen Augen ein wenig gerötet sind. Meine Haare, die ich mir kurz geschnitten habe, liegen unordentlich auf meinem Kopf. Mit einer Hand fahre ich mir durch das Haar und streiche es wieder glatt. Ich mag deine Haare. Eine tiefe Stimme, fast wie eine Halluzination, vibriert durch meinen Körper. Ich zucke zusammen und schüttele meinen Kopf. Ich hatte ihn fast wieder vergessen. Zumindest machte ich mir das vor, denn wirklich vergessen hatte ich ihn nie. Er war in jeder Zelle meines Herzens, in jedem Atemzug und obwohl ich es nicht zugeben wollte, war Weihnachten für mich immer noch die schlimmste Zeit im Jahr. Die Zeit in der sich eine Sehnsucht in mein Herz senkte, die mich innerlich zerriss. Über die Jahre hatte sich die Sehnsucht immer mehr eingestellt. Ich hatte sie fast verloren. Das hatte ich zumindest geglaubt. Bis vor knapp einem Jahr die Briefe wieder anfingen. Die Briefe, von denen er mir jeden Monat einen schrieb. In der Hoffnung, dass ich ihm vermutlich zurück schrieb. Doch das tat ich nie, denn ihm zu schreiben würde die Hoffnung in meinem Herzen wieder wie eine Knospe aufblühen lassen. Es war schon schlimm genug, dass er mich nach mehr als zwei Jahren angerufen hatte.... Der Brief fühlt sich wie ein Stein in meiner Handtasche an, als ich meinen Weg zur Haustür mache. Ich stecke den Schlüssel ins Schloss und drehe ihn um. Die Tür springt auf, ein frischer Luftzug kommt mir entgegen, vermischt mit mir vertrauten Gerüchen. Gerüchen, die mir sagen, dass ich nach Hause gekommen bin. „ Schatz, bist du das ?" eine mir vertraute Stimme dringt durch den Flur, als ich die Tür hinter mir schließe und die Schuhe von meinen Füßen ziehe. „ Ja, Liebling." rufe ich zurück, während ich die Schuhe nebeneinander ins Schuhregal stelle. „ Gott, ich hab dich vermisst." zwei Arme schlingen sich um meine Mitte, während sich vertraute Lippen auf meine Wange pressen. Ich lache leise auf, drehe mich um und schaue in die mir vertrauten dunkelgrünen Augen. „ Ich dich auch, Liebling."


Oceans Apart ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt