Kapitel 21

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Die Nacht träumte ich von Macaulay. Bilder von blutenden Armen, liefen durch meinen Kopf, wie ein Abspulband. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, musste ich feststellen, dass Macaulay bereits verschwunden war. Die Wohnung war verlassen, das Zimmer von ihm wie immer verschlossen. Auf nackten Fußsohlen lief ich ins Badezimmer. Als ich das Licht anschaltete, fiel mein Blick sofort auf das Waschbecken. Ich wusste nicht was ich erwartete. Vielleicht eine rote Blutspur im Waschbecken? Oder irgendetwas was mir ein Anzeichen auf die gestrige Situation geben würde? Stattdessen war das Waschbecken sauber. So wie ich es die Tage zuvor auch aufgefunden hatte. Es war, als ob letzte Nacht überhaupt nicht passiert war. Mein Blick fiel auf den Toilettendeckel und sofort schossen mir Bilder von Macaulays dunklen Augen ins Gedächtnis. Für einen klitzekleinen Moment war es, als ob sich ein Vorhang geöffnet hätte. Ein Vorhang, der mir eine Welle von Verletzlichkeit enthüllte, die ich mir nur schwer vorstellen konnte. Ich war in einer wundervollen Familie aufgewachsen, mit einer besten Freundin als Mutter, einem Superhelden als Vater, einer verrückten Tante und einem ebenso verrückten Onkel. Und einem Bruder, den ich auch, wenn er mir sehr oft auf die Nerven ging, vom Herzen liebte. Ich erinnerte mich an Halloween vor 12 Jahren, an dem mein Dad und ich als Tinkerbell und Peter Pan auf der Halloweenparty meiner High-School aufkreuzten. Alle Mädchen hatten entweder ihre Freundinnen dabei oder einen Jungen. Am Tag der Halloweenparty hatte ich mich in meinem Zimmer eingeschlossen. Zwei ganze Stunden später hatte mein Vater an mein Zimmer geklopft und mir die beiden Kostüme entgegengehalten. Meine Mom hatte ganze zwei Dosen, rotes Haarspray für die dunklen Haare meines Vaters verbraucht. Die Mädchen hatten ganz schöne Augen gemacht, als sie sahen, dass ich mit keinem geringeren als meinem Dad auf der Party erschien. West Taylor war zu dem Zeitpunkt zwar schon 41 gewesen aber er stahl jedem 12 Klässler um Längen die Show. Selbst Carson, dem Eishockeystar unserer Schule. Ich bekam mit, wie die Jungs auf die Oberarme meines Vaters starrten und wie heimlich die Blicke der Mädchen von den oberen Klassen auf das grüne Shirt starrten, dass sich über die Brust meines Dads spannte. Als dann keine Stunde später noch mein Onkel Chris auftauchte, der als Hercules verkleidet war, hatte ich das Gefühl, dass sich kein Augenpaar mehr von uns lösen konnte. Den ganzen Abend tranken wir alkoholfreie Bowle und tanzten wild auf der Tanzfläche. Onkel Chris stahl jedem Kerl auf der High-School um Längen die Show, denn er konnte tanzen wie ein weißer Usher. Am Ende des Abends hatte er eine Reihe von Mädchen der Oberstufe an seinem Rücken kleben, denen er geduldig einer nach der anderen seinen Ehering ins Gesicht streckte. Wenn ich an den Abend zurückdachte musste ich lächeln. Es war der einzige Tag in der Schule gewesen, an dem mir die Mädchen Beachtung geschenkt hatten. Danach war ich wie immer unsichtbar. Aber das machte mir nicht wirklich fiel aus, denn ich hatte eine wundervolle Familie und später auch Drew. Das war alles was ich in meinem Leben gebraucht hatte. Doch leider hatte es nicht jeder so gut wie ich und manche Familienverhältnisse waren besonders schlimm. So schlimme Familienverhältnisse, wie Macaulay erleben musste. Ich konnte mir nur sehr schwer vorstellen, wie es in ihm aussah, aber ich wusste, dass es schlimm sein musste , wenn er sich freiwillig nachts mit dem Rasierer über den Arm schnitt. Mittlerweile hatte ich heraus gefunden, dass er Nachts Alpträume hatte, denn die vorherigen Nächte hatte ich Schreie aus seinem Zimmer gehört, die nur von ihm kommen konnten. Im Laufe der letzten Nacht hatte ich mir selbst einen Reim auf das Licht gemacht. Als ich noch klein gewesen war, hatte ich einen Kindergartenfreund namens Laurent gehabt, der Angst vorm Dunkeln hatte. Eines Tages hatte er bei mir übernachtet. Ich konnte mich noch genau daran erinnern, dass seine Mutter mit meiner geredet hatte und ihr eine kleine Lampe in die Hand drückte. So neugierig wie ich war, hatte ich meine Mutter natürlich ausgefragt. Sie hatte mir erzählt, dass manche Kinder Angst vorm Dunkeln hatten, dass sie sich vor Monstern fürchteten, die unter dem Bett hockten oder sich in ihrem Schrank versteckten. Damals fand ich das ganze ziemlich aufregend und ich konnte mir nicht vorstellen, wie ein fünfjähriges Kind Angst vor der Dunkelheit hatte. Doch in den letzten Tagen wurde mir klar, dass Monster es nicht nur auf kleine Kinder abgesehen hatten.

Oceans Apart ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt