Babel

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Marinas Schrei hallte in seinen Ohren nach. Django fuhr herum und sah den Fluss hinter sich explodieren. Er riss die Augen auf, als die Wasserwand höher und höher stieg und sich am Ufer ausbreitete, bis sie sein gesamtes Gesichtsfeld umfasste. Seine Füße wurden nach unten gerissen und Chloé entglitt seinem Griff. 
Um sich herum hörte Django die anderen erschrocken aufschreien. Das Wasser, das auf dem sie vorher gelaufen waren, strömte zur flüssigen Barriere, hinter der das Feuer seltsame Lichtreflexe warf. Er fiel und versuchte Chloe aufzufangen, bevor sie im Wasser, das noch dort war, aufschlug. Hart prallte er mit dem Rücken auf den Fluss. 
Mühsam rappelte er sich auf. Das Wasser war wieder fest geworden und Django war nur wenige Zentimeter eingetaucht. Das reichte jedoch, um seine Kleidung zu durchnässen. Er sah sich wütend nach Marina um, stattdessen blickte er ins zornige Gesicht von Hope, die einem Berg gleich über ihm aufragte. 
„Du solltest sie festhalten!“, fauchte sie ihn an. Sein Herz rutschte ein Stück tiefer in seine Hose, als er bemerkte, worauf sie zeigte. Chloé schwebte zwei Meter über dem Fluss in der Luft. Ihre Arme baumelten nach unten, ihre Fingerspitzen berührten die Wasseroberfläche. 
„En-entschuldigung,“ stammelte Django und erhob sich ganz. „Wenn du sie herunterlässt, nehme ich sie wieder.“ 
„Pass besser auf sie auf!“, blaffte Hope ihn an. Mit einer lockeren Handbewegung ließ sie Chloé in seine Arme gleiten. Diesmal hielt er sie fester. Seine Wange brannte noch von Kalliks Schlag. Hör einmal auf ein arroganter Idiot zu sein und übernimm Verantwortung!, erinnerte er sich und schnaubte verächtlich. Er hätte auch einfach fragen können. 
Django lief neben Hope über das Wasser und vermied einen Blick nach unten. Übers Wasser laufen: Etwas von dem er nie zu träumen gewagt hatte. Gut, er war schnell, aber er war nie schnell genug hierfür gewesen. Nun lag unter seinen Füßen der nasse Abgrund, verborgen unter einer spiegelnden Oberfläche. 
Chloé war warm, zu warm. Django legte einen Zahn zu und ließ Hope hinter sich. Krankenhaus. Wo ist hier ein Krankenhaus? Er erreichte das Ufer, an dem einige Soldaten mit weit aufgerissenen Augen zwischen ihnen und der Wasserwand hin und hersahen. Sie richteten verunsichert die Läufe ihrer Waffen auf ihn, als er an ihnen vorbeistürmte, doch er war weg, bevor einer von ihnen eine Entscheidung oder ihn traf. 
Django blickte im Laufen über die Schulter. Die Wasserwand ragte bedrohlich hinter ihnen auf. In der Mitte des Flusses kauerte Marina und erhielt alles aufrecht. Die anderen machten sich gerade daran über die Ufermauer zu klettern. Hopes goldblonder Haarschopf stach vor dem dunklen Hintergrund hervor. 
Er kam an eine Kreuzung und blieb schlitternd stehen. Menschen liefen über die Straßen. Zivilisten, keine Soldaten. Ein Großteil der Welt weiß nicht mal, dass wir existieren.Wir verstecken uns im Schatten und versuchen ein normales Leben zu leben, dachte er an Mademoiselle Dupins Worte. Panik würde ausbrechen, wenn die Menschheit plötzlich von uns erführe
Chloé war in seinen Armen verrutscht und er rückte sie zurecht, während er einen Passanten antippte. Der alte Mann drehte sich mit großen Augen an, bereit zur Flucht. 
„Krankenhaus?“, fragte Django hastig, „Wo geht es hier zum Krankenhaus?“ 
Der Alte antwortete nicht, sondern senkte den Kopf und eilte die Straße hinab. Django fluchte und rannte im normalen Tempo in die entgegengesetzte Richtung weiter. Warum wollte ihm niemand helfen? 
Die Symbole auf den Schildern waren verwirrend. Djano sprach kein Koreanisch, geschweige denn konnte er sie lesen. Seine Eltern hatten zwar darauf bestanden, dass er Mandarin und Russisch lernte, aber er hatte nie großes Interesse an den beiden Sprachen gezeigt. Mandarin ist die am häufigsten gesprochene Sprache der Welt und Russisch ist bei internationalen Geschäften auch nicht zu verachten, hatte sein Vater erklärt und Django war froh, als sich seine Mutter auf seine Seite schlug und seinem Vater ausredete, dass er auch noch Spanisch lernen müsse. 
Langsam aber sicher ging ihm die Luft aus. Chloé war schwer und unhandlich. Seine Füße brannten darauf ihr volles Potential zu entfalten und gerne wäre er ihnen nachgekommen. Doch jetzt waren immer mehr Menschen auf den Straßen unterwegs. Viele von ihnen wirkten verstört und ziellos. Irgendwo zersprang eine Fensterscheibe mit einem Klirren. Polizeisirenen ertönten in der Ferne. 
Die Regierung hat sich entschieden eine halbe Stadt zu zerstören, um die andere Hälfte zu retten. Manchmal muss man Opfer bringen, dachte er und hielt weiter Ausschau. Opfer sind notwendig um ein Ziel zu erreichen, das war die Devise seiner Mutter. So hatte sie sich mal entschuldigt, weil sie so wenig Zeit für ihn und für die Familie hatte. Ich tue das alles nur, damit wir ein gutes Leben haben. 
Das nächste Straßenschild. Seltsame Buchstaben, seltsame Buchstaben, Kreuz, Zug. Django lief weiter, dann machte er auf dem Absatz kehrt und rannte zum Schild zurück. Kreuz. Krankenhaus. 
Er schleppte Chloé weiter. Die Gebäude um ihn herum wurden pompöser und die Gegend roch förmlich nach Geld. Hier waren weniger Menschen unterwegs, weshalb er sich erlaubte einen Zahn zuzulegen. Die Fenster der Häuser waren verbarrikadiert und vor den Eingängen der hohen Stahlzäune hingen Überwachungskameras. Fast wie zuhause. 
Eine Ecke später stand Django vor dem Krankenhaus. Es war ein großes, hell erleuchtetes Gebäude. Auf dem Platz davor hatte sich eine Menschenmenge gebildet. Die Kleidung von vielen war mit Blut befleckt und einige trugen improvisierte Verbände. Rufe gellten durch die Luft, irgendwo schrie jemand vor Schmerz. Die Massenpaniken in der Innenstadt forderten ihren Tribut. 
Django holte tief Luft und warf sich ins Getümmel. Chloé brauchte einen Arzt und den würde sie auch kriegen. Marina würde ihn umbringen, sollte ihr etwas geschehen. Und Hope auch. Bemüht niemanden auf den Fuß zu treten, drängte er sich vor. Eine alte Frau beschimpfte ihn wüst und irgendwer versuchte ihn wegzuschubsen, doch Django wich mit einer schnellen Bewegung aus. Sollten sie ihn hassen. Das tat ohnehin schon jeder. 
Chloés Kopf stieß gegen den Rücken eines breit gebauten Mannes in Lederkluft. Sie stöhnte leise. Der Mann drehte sich um und Django sah, dass anstelle eines Ohres ein blutiger Stummel seinen Kopf zierte. Er macht, dass er wegkam. 
Vor dem Eingang versuchten einige verzweifelte Polizisten die andrängenden Menschen zu beruhigen und auf Abstand zu halten. Dunkle Ringe prangten unter ihren Augen und Schweiß glänzte auf ihrer Stirn. Die Sperrgitter, die vor ihnen aufgestellt waren, schwankten unter dem Ansturm der Menge. 
Django stolperte nach vorn. Die Polizisten würdigten Chloé und ihn nur mit einem flüchtigen Blick. Für sie waren die beiden nur zwei verängstigte, wütende Gesichter von vielen. 
Seine Füße juckten und Django gab ihnen endlich nach. Er sprintete zu den Gittern und huschte an den Polizisten vorbei. Ihre Bewegungen waren so langsam… Er war durch die Tür, bevor sie überhaupt merkten, dass etwas nicht stimmte. 

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