...so schallt es zurück

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Die Brücke lag einsam und verlassen vor ihnen. Eisschollen hatten sich trotz des tosenden Wassers unter ihr angesammelt. Sie führte über den Fluss, dem sie bereits seit Tagen gefolgt waren. Falls einmal eine Straße über die Brücke hinweggeführt hatte, war sie von den Bäumen verschluckt worden. 
Das die Brücke überhaupt noch stand, glich einem Wunder, fand Hannah. Sie hing wie ein Betrunkener über dem Wildwasser. An vielen Stellen waren Steine in den Fluss gedonnert und kleine Bäume wuchsen auf ihr. Aber sie war der einzige Weg hinüber, dem sie bis jetzt begegnet waren und der einzige im Umkreis von hundert Kilometern, wenn sie Amechi Glauben schenkte. 
Die Afrikanerin war Hannah suspekt. Wie jemand es schaffte, drei Jahre in der Wildnis zu überleben, von der Außenwelt abgeschnitten, war ihr ein Rätsel. Ihr Gang war zu aufrecht, zu fließend, als ob ihr die Einsamkeit Spaß machte. Aber Karu und Hjördis vertrauten ihr, weshalb Hannah nichts sagte. 
„Darüber?“, fragte sie zweifelnd und unterdrücke ein Niesen. Verdammte Tannen. Ob genverändert oder nicht, die Allergie bleibt. 
„Sie ist sicherer als es den Anschein hat,“ bestätigte Amechi mit einem Nicken. Hannah sah ihr dabei zu, wie sie ihren Speer wie einen Blindenstock dazu benutzte, lockere Steine unter der dicken Schneeschicht zu ertasten. Zögerlich folgte sie Hjördis und versank bis zu den Oberschenkeln im Schnee. Hier, wo die Bäume noch nicht so groß wie ihre Verwandten ein paar Meter weiter weg waren, hinderte kein ausladendes Nadeldach die graue Masse daran, sich aufzutürmen. Trotz der gestohlenen Hose kroch Kälte in Hannahs Glieder. 
„Noch etwa 30 Minuten und wir sind da,“ verkündete Amechi und bahnte sich einen Weg um einige kleinere Tannen. 
Unter ihnen brauste der Fluss. Hjördis presste sich die Hände auf die Ohren und hatte Mühe dabei ihren eigenen Speer festzuhalten. 
„Lass mich!“, rief Hannah und Hjördis reichte ihr den Speer mit einem gequälten Blick. Wenn wir wieder im Fort sind, besorge ich ihr diese Tabletten. Da kann man ja kaum zusehen. 
Hinter sich hörte Hannah einen leisen Aufschrei. Sie fuhr herum, bereit es mit jedem Bären, Auftragsmörder oder Para aufzunehmen, der sich ihnen näherte. Womit sie nicht gerechnet hatte, war ein karuförmiges Loch im Schnee. Aus dem Loch drang ein dumpfes Stöhnen und einen Hand tastete über den Rand. Hannahs Kichern wurde zu einem Niesen und dann zu einem Lachen. Sie reichte Karu ihre Hand und hievte ihn aus dem Schnee. 
Eiskristalle klebten in seinen dunklen Haaren, ein Schneebart zierte sein Gesicht. Hannah brach in schallendes Gelächter aus. 
„Was!“, knurrte Karu missmutig und klopfte sich Schnee von der Kleidung. 
„Du,“ japste Hannah, „Siehst aus wie ein kubanischer Weihnachtsmann.“ 
„Was habt ihr Europäer eigentlich immer mit dem Weihnachtsmann?“, grummelte Karu. „Ihr zieht das ganze immer so groß auf.“ 
„Entschuldige mal aber Weihnachten ist wichtig!“, rief Hannah entsetzt. Weihnachten ist toll. Plätzchen, Geschenke, Lichterketten. Gut, da ist diese nervige Sache mit der Kirche, aber die dauert zum Glück nicht lange. 
„Genau, was habt ihr Festländer eigentlich immer mit dem Weihnachtsmann?“, fiel ihr Hjördis in den Rücken und lachte, ohne die Hände von den Ohren zu nehmen. „Auf Island gibt es dreizehn. Und eine Katze.“ 
„Ihr Isländer müsst aber auch in allem speziell sein. Entscheidet euch erst mal für eine Kontinentalplatte, dann reden wir weiter,“ schimpfte Hannah gespielt beleidigt. 
Hjördis warf die Haare in einer arroganten Geste zurück, konnte sich ein Grinsen jedoch nicht verkneifen: „Tja, wir sind halt besonders.“ 
„Ich unterbreche euer Geplänkel ja nur ungern,“ verkündete Amechi vom anderen Ende der Brücke, „Aber wir sollten uns beeilen. Ich friere mir gleich den … ich friere mir gleich alles ab.“ 
Hannah seufzte und trottete hinter ihr her. Aber Amechi hatte Recht. Auch sie war froh, wenn sie ins Trockene kamen und den Schnee eine Weile hinter sich ließen. 
Karu schloss zu ihr auf. Der obere Reißverschluss seines Rucksacks stand ein Stück weit offen und sie zog ihn zu. 
„Danke,“ sagte er freundlich, den Blick auf den Boden geheftet, um nicht wieder zu stolpern. 
„Kein Problem. Erzählst du mir von Weihnachten bei euch?“, fragte sie neugierig. 
„Da gibt es nicht viel zu erzählen,“ seufzte er. „Weihnachten und andere religiöse Feiertage sind auf Kuba nicht mehr so wichtig wie früher. Seit der Revolution kontrolliert der Staat auch die Religionen. In meiner Familie wird gemeinsam gegessen, danach geht es in die Kirche und ein paar Wochen später gibt es Geschenke. Das war‘s.“ 
„Bei uns war Weihnachten immer das Fest des Jahres. Die ganze Familie ist gekommen und wir standen schon morgens in der Küche und habe gemeinsam gekocht. Juli und ich haben den Baum geschmückt und nach der Kirch gab es Geschenke und Essen. Am nächsten Tag habe ich es immer bereut so viel gegessen zu haben, aber es hatte sich gelohnt. Das ist jetzt alles vorbei,“ gegen ihren Willen schossen ihr Tränen in die Augen. „Juli und ich haben immer auf Schnee gehofft. Richtigen Schnee und nicht diese graue Pampe,“ schnaubte Hannah wütend und trat gegen eine Schneeverwehung. Sie wehrte sich nicht, als Karu ihr den Arm um die Schulter legt und sie weiterführte. 
Hannah Blick fiel zu einem Schild, das an einem Baum genagelt hing. Der Wegweiser war alt und verwittert. Selbst wenn sie Kyrillisch hätte lesen können, war die Schrift zu verblasst um sie zu entziffern. 
„Tesnina,“ erklärte Amechi. „Das Dorf war schon immer klein, aber als die Bäume kamen, zogen auch die restlichen Bewohner fort. Heute ist dort nichts als schlecht erhaltene Ruinen und Wald. Wir bräuchten drei Stunden.“ 
„Nein, die Höhle klingt gut,“ erwiderte Hannah und zwang sich zu einem Lächeln. 

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