- Krankheit der Stunde: Asthma, Skoliose, Glasauge ; Triggerwarnung: Mobbing -
Aber nicht nur körperlich wurde ich damals attackiert. Auch anderweitig wurde mir schnell klar, klar gemacht, dass ich ein Außenseiter bin. Beim Sport.
Als kleines Kind bin ich noch gern draußen herumgerannt und habe mich bewegt. Und jetzt muss ich kurz abschweifen, denn wenn wir mal ganz ehrlich sind, ist die Schule, in ihrem Bestreben, die Kinder zu mehr Bewegung anzuhalten, doch eigentlich genau das, was den Bewegungsdrang abtötet. Man darf nicht mehr herumtollen, sondern muss ganz bestimmte Sportarten nach ganz bestimmten Regeln ausüben, um Noten zu erhalten. Spaß wird hier durch einen Wettbewerbsgedanken ausgetauscht, der eigentlich eines heißt: Ein Einziger ist der Beste, und allen anderen Kindern sagt man, sie seien nicht gut genug. Sie sind eben nicht der Beste. Und das soll gesund sein? Wenn man etwa 95% der Teilnehmer sagt, sie wären eben nicht gut genug? Immer und immer wieder? Das soll einen motivieren? Liebe Pädagogen: An dieser Stelle seid ihr echt Idioten.
Natürlich kommt man im Erwachsenenleben nicht ohne etwas Wettbewerb über die Runden, aber Kindern bei dem, was sie gesund halten und die überschüssige Schokolade wieder verbrennen soll, mit so etwas zu kommen, ist ein Grund, warum Kinder wie Erwachsene in Deutschland oft noch immer keine Freude an Sport haben und so immer mehr Krankheiten auftreten.
Aber gut, ich schreibe ja hier, um meine eigene Geschichte zu erzählen und nicht, um im Alleingang einen Krieg gegen die ganze Welt zu beginnen. Also zurück zu dem Wettbewerbsgedanken und seinen Auswirkungen auf mein Leben.
Ich bin immer noch in der fünften oder sechsten Klasse, im Sportunterricht.
Beim Turnen darf ich vieles nicht. Sprünge könnten meine Wirbelsäule zu sehr belasten, Rad schlagen kann ich schlicht nicht, wobei ich nicht weiß, ob das an meinem Rücken liegt oder ich schlicht unfähig bin. Da ich aber auch mit Schleifen an Schuhen schon Probleme habe, wenn ich beide Arme gleichzeitig so nach vorn und unten halten muss, schließe ich es nicht aus, dass selbst das größte Turntalent mir nicht helfen würde. Und auf dem Schwebebalken habe ich nicht nur wegen meines gestörten Gleichgewichtssinns Probleme - wie soll man denn Gleichgewicht halten, wenn der Körper nicht mal halbwegs symmetrisch aufgebaut ist? -, sondern auch schlicht Höhenangst. Ja, auch schon bei diesen 20 Zentimetern, die man uns Elfjährigen zutraut.
Und dann kommt Leichtathletik. Die Bundesjugendspiele. Ich vertrage die Bewegung im Sommer nicht, weil mein Asthma mit den hohen Ozonwerten nicht umgehen kann. Im schlimmsten Fall falle ich einfach breche ich einfach zusammen. Und ich muss trotzdem mitmachen. Das ist schon in Ordnung, das verstehe ich. Man wird nur fitter, wenn man überhaupt erstmal anfängt. Aber meine Leistung ist natürlich unterirdisch und seit die Teilnehmerurkunde in meiner zweiten Klasse abgeschafft wurde, kündigt nichts mehr davon, dass ich mich wenigstens bemüht habe. Keiner lobt mich dafür. Und es gibt leider auch keine Tabellen, mit der die Leistung von jemandem mit Asthma und nur einer halben Lunge in Relation zu der gesunder Kinder gesetzt wird. Falls ich also unter meinen Voraussetzungen sogar wirklich gut bin, werde ich das nie erfahren. So bin ich die schlechteste. Jedes Jahr wieder, in jeder Sportart - außer im Werfen, da bin ich sogar im Mittelfeld. Dafür braucht man ja keine Ausdauer, zum Glück. Nur hilft mir das nicht weiter. Am Ende bin ich immer das Kind mit den wenigsten Punkten.
Aber all diese Demütigung ist in Ordnung. Sie geht nur vom System aus. Niemand quält mich hier bewusst. Und Sport ist nun wirklich nicht wichtig. Ist jemals jemand nur wegen Sport sitzen geblieben? Ich denke nicht.
Also wäre es zu ertragen, würde höchstens das Selbstbewusstsein etwas ankratzen, wären da nicht die anderen Kinder.
Wir spielen einen Mannschaftssport. Handball, Fußball, Hockey, ich weiß es nicht mehr, denn es ist jedes Mal dasselbe. Natürlich will mich keiner in der Mannschaft haben, sie lehnen sich sogar offen gegen den Lehrer auf.
![](https://img.wattpad.com/cover/154909393-288-k355998.jpg)
DU LIEST GERADE
Unter drei Augen
Non-FictionBiografisches aus dem Leben einer Schwerbehinderten in Deutschland. Anekdoten, Zahlen und Fakten. "Ich bin all das. Ich bin all meine Krankheiten. Die leichten und die schweren. Die, die nur in ganz bestimmten Situationen eine winzige Rolle spielen...