Das schläft wohl bei den Fischen

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- Krankheit der Stunde: Glasauge -

Und wieder möchte ich zur Aufmunterung eine der Anekdoten erzählen, die mir im Nachhinein positiv ans Herz gewachsen sind.

Ich laufe etwas beunruhigt im Haus umher. In meiner Schublade aller wichtigen Dinge liegt vieles. Meine Bankkarte, der Notizzettel mit dem Geburtstag meines Lieblingslehrers, meine Dartpfeile - immerhin waren die teuer genug als Profidarts. Nur mein Glasauge liegt dort nicht. Dabei ist es doch immer dort. Immer, wenn es nicht in meiner Augenhöhle ist, lege ich es doch dort rein. Damit ich es morgens schnell wiederfinde und eben nicht in Panik gerate oder unnötig Zeit verliere. Was kann denn diesmal anders sein?

Nervös gehe ich den letzten Tag noch einmal durch. Sehe im Kopf, wie ich müde von der Schule ins Wohnzimmer komme und erstmal nicht hoch in mein Zimmer gehen will. Den schweren Rucksack einfach einen Moment ignorieren möchte, der im Flur darauf wartet, dass ich ihn nach oben trage. Aber der Schmerz in meiner Augenhöhle so stark ist, dass ich ihn nicht mehr aushalte. Ich nehme das Auge also raus, tu es in ein Taschentuch. Aber wo lege ich es dann hin, wenn ich gerade noch nicht nach oben will?

Es gibt noch einen Platz, an dem nur wichtige Dinge aufbewahrt werden, in unserem Haus. Da sind, nach Seiten verteilt, die Dokumente meiner Eltern, und meine, wenn es wieder ein dringendes Rezept oder eine Überweisung gibt. Da habe ich es sicher hingetan!

Ich laufe runter zu meinen Eltern und schaue das entsprechende Fach durch. Nichts. Kein Glasauge, kein Taschentuch. Kein gar nichts.

Ich wende mich also an meine Mutter: "Sag mal, wo ist denn mein Auge?"

"Ist das nicht bei dir oben?"

Ich schüttle den Kopf. "Ich glaube, das habe ich gestern hier unten gelassen. Aber hier ist es nicht mehr."

Sie runzelt die Stirn: "Das kann doch gar nicht sein. Soll ich dir suchen helfen? Das muss doch irgendwo sein."

Sie sucht erst in meinem Zimmer. Natürlich. Das ist eine Mischung aus Unglauben, dass ich tatsächlich mal wissen könnte, wo mein Zeug ist, und, dass ich auch zum Suchen in der Lage bin, und leider auch Erfahrung. Denn oft sind die Dinge, die ich in meinem Zimmer nicht finden kann, dann doch genau dort. Manchmal sogar an Stellen, die ich dreimal untersucht habe. Wenn es um Suchen in meinem Zimmer geht, bin ich betriebsblind.

Nach einer Weile zuckt sie mit den Schultern. Auch sie ist hier nicht fündig geworden. "Wo kann es denn sonst sein?"

"Ich meine eigentlich, ich habe es gestern unten zu den Dokumenten gelegt."

"Aber da war eben doch nichts", stellt sie fest. Stimmt ja auch. Dann werden ihre Augen groß. "Das war nicht zufällig in ein Taschentuch eingewickelt?"

Ich nicke und Hoffnung keimt auf, um gleich wieder zerstört zu werden.

"Ich hab gestern das Wohnzimmer aufgeräumt. Vielleicht ist es im Müll", sagt meine Mutter.

Ich durchsuche den Restmüll im Haus. Ich durchsuche die große, graue Tonne draußen. Einen Moment überlege ich, da richtig reinzusteigen. Nicht nur, weil mich das schon immer interessiert hat, ob ich da passe, sondern auch, weil es so leichter sein könnte. Ich habe aber Angst, aufs Auge zu treten und es so kaputt zu machen.

Ich durchsuche alles, was mir in den Sinn kommt, schau im Garten, ob mein Auge beim Müllrausbringen daneben gefallen sein könnte. Nichts.

Meine Mutter überlegt einen Moment und zuckt dann mit den Schultern: "Dann habe ich das vermutlich im Klo runtergespült."

Ich starre sie lange an. Bin zu überrumpelt, um etwas zu sagen. Dass meine Mutter ab und an einzelne Taschentücher mit runterspült, weil sie meint, das würde dann ja Müll sparen, weiß ich. Aber: "Ich hab das doch extra zu den wichtigen Sachen gelegt."

"Und ich hab mich schon gewundert, wer da denn ein Taschentuch hinlegt. Müll hat da schließlich nichts zu suchen."

Ich seufze. Ich könnte jetzt natürlich sauer auf meine Mutter sein. Aber was würde das denn bringen? Weg ist das Auge sowieso. Und ein bisschen bin ich ja selbst Schuld. Was war ich auch zu faul, es gleich an seinen angestammten Platz zu bringen?

Dann muss ich eben bei meinem Augenmacher schnellstmöglich einen neuen Termin machen. Bis dahin nehme ich das alte. Für solche Fälle hebe ich die Augen ja alle auf, und da sich die Form von einem Auge zum nächsten immer nur geringfügig ändert, geht das meisten. Ich habe sogar Glück und bekomme noch im selben Monat einen neuen Termin und ein neues Auge.

Seit dem habe ich gelernt, immer auf es aufzupassen. Das ist fast zu einer Panik geworden. Aber immer, wenn ich daran denke, wie ich dieses Auge verloren habe, muss ich trotzdem schmunzeln. Einfach, weil die Situation so absurd ist. Ein Auge, dass im Klo runtergespült wird. Das kann wohl kein normaler Mensch von seinem Auge behaupten.

Was wohl aus ihm geworden ist? Wurde es im Klärwerk rausgefangen oder hat es den Weg bis ins Meer geschafft? Findet es jemand irgendwann als Meerglas? Hat es dann noch Pupille und Iris, richtig erkennbar? Was sagen die Fische dazu? Noch so ein kleines, mutiges Kämpferauge, das eine lange Reise antrat.

Unter drei AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt