Exkurs: Behinderung in Deutschland Teil 2

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- Grad der Behinderung -

Nachdem wir uns schon angesehen haben, wie Behinderung in der Bevölkerung verteilt ist und welche Auswirkungen sie auf leicht messbare Dinge wie Erwerbstätigkeit hat, möchte ich mich nun der Schwierigkeit der Berechnung von Behinderung widmen. Dazu will ich zunächst aufzeigen, was Behinderung alles beinhalten kann. Ich greife hierfür auf einige Krankheiten aus der Berechnungstabelle zurück, mehr oder weniger willkürlich beim Lesen selbiger, wobei ich mich bemüht habe, die Krankheiten zu nehmen, die allgemein bekannt sind und keine Erklärung benötigen.

Hier sei noch einmal gesagt, dass der Grad der Behinderung sich nicht addiert. Das heißt, wenn man mehrere Krankheiten hat, hat man nicht einfach nur den Wert von Krankheit eins plus den Wert von Krankheit zwei als Endsumme. Im Gegenteil, die Diagnose selbst ist dabei auch zunächst unerheblich. Berechnet wird letztendlich eher, welche Einschränkungen man damit im sozialen Alltag hat, wie sehr die Krankheiten also das soziale Miteinander, die Arbeitsfähigkeit und die Möglichkeit, ohne fremde Hilfe zu leben, erschweren.

In Einzelfällen könnte das also sogar heißen, dass jemand, dem gar kein Sozialleben mehr möglich ist, keinen Schwerbehindertenausweis und damit auch keine speziellen Leistungen bekommt, weil er nicht zum Arzt gehen und seine Einschränkungen ansprechen und so belegen kann? Klingt jedenfalls für mich als Betroffene, die das aber auch erst im Laufe dieser Recherchen überhaupt erfahren hat - denn sowas teilt einem keiner mit und Behinderungen kommen leider nicht mit Packungsbeilage - umständlich und fehlerbehaftet. Eventuell sogar so, als würde jemand, der mehr jammert, einen höheren Wert bekommen können als jemand, der sich seinem Schicksal fügt.

Aber wenden wir uns lieber wieder den Zahlen zu, und erstmal den Fällen, die es in der Bevölkerung doch sehr häufig gibt. So gibt die Berechnungsgrundlage für Nachtblindheit einen Wert von 0-10. Nicht genug, um alleine schon eine Auswirkung zu haben, erst ab einem GdB von 30 passiert überhaupt etwas, aber gleichzeitig wird für Farbenblindheit nichts angegeben. Sie hat einen Wert von exakt 0. Dabei kann man gegen Nachtblindheit schlicht Lichtquellen nehmen, was ich aus eigener Erfahrung weiß, da ich selbst leicht nachtblind bin. Sie schränkt einen ein, ja, aber eigentlich nur bei gewissen Berufswünschen wie Pilot.

Gegen Farbenblindheit hingegen hilft nichts, soweit ich weiß. Außer Gewöhnung, damit man zumindest die Ampel dennoch ablesen kann. Aber sozial fällt man damit eher auf, wird eher verspottet und gemobbt. Da also beides mit leichten Einschränkungen einher geht, warum wird dann nicht beides gleich bemessen?

Weiter zur nächsten Diagnose, die viele Menschen betrifft. So wird ein Tinnitus, also das störende Ohrgeräusch, mit 0-10 bewertet, wenn es keine psychischen Auswirkungen gibt. Hierbei gilt zu bedenken, dass Behinderungen lange andauernde Einschränkungen sind, also nicht der kurze, einmalige Tinnitus gilt, der mit Infusionen oder Ähnlichem nach wenigen Tagen wieder verschwunden ist. Sondern nur das ständige Ohrgeräusch, dass teilweise nie wieder geht.

Und auch für leichtes Stottern wird schon ein Wert von 0-10 angegeben.

So gesehen gäbe es eigentlich wenige Menschen, die völlig gesund sind, würde ein GdB von 10 nicht einfach unter den Tisch fallen.

Gleichzeitig hat ein Mensch mit einem Herzschrittmacher übrigens auch, wenn nichts anderes vorliegt, auch nur auf dem Papier einen GdB von 10, der also auch nicht beachtet wird. Und das, obwohl Herzschrittmacher auch heute noch ziemliche Einschränkungen im Sozialleben wie zum Beispiel an Flughäfen mit sich bringen. Die älteren Modelle sind sogar ziemlich störungsanfällig gewesen und sind teilweise immer noch in Betrieb.

Ein kleiner Vergleich zu den höher bewerteten Krankheiten: Schwere Migräne mit Ausfällen von mehreren Tagen am Stück wird mit einem Wert von 50-60 berechnet. Komplette Lähmungen natürlich mit einem Wert von 100, und zudem auch der Erlaubnis, auf Behindertenparkplätzen zu parken.

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