Exkurs: Umgang mit Behinderten

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- Oder: Warum dumme Sprüche bei manchen in Ordnung ist -

Noch einmal ein kleiner Exkurs. Diesmal dazu, wie man als Einzelner mit Behinderten im Alltag umgehen sollte. Und ich rede jetzt nicht von strukturellem Umgang oder Barrierefreiheit, sondern dem schlichten „Ich habe mit einem Menschen mit einer Behinderung gerade persönlich zu tun, was sollte ich bedenken".

Dabei gibt es leider keine Patentlösung, denn zunächst einmal ist jeder Behinderte genauso wie jeder Nichtbehinderte anders als alle anderen. Jeder hat persönliche Empfindlichkeiten, Vorlieben und Abneigungen. Der Eine mag Erfahrungen gemacht haben, die ihn bis heute belasten und deren Flashbacks durch Kleinigkeiten getriggert werden, während der Andere vielleicht sogar noch nie irgendwelche Einschränkungen gespürt hat und daher lockerer mit dem Thema umgeht, als die Menschen um ihn herum.

Ein guter Anfang ist Regel Nummer 1: Mache keine Witze über die Behinderung, bevor der Betroffene selbst einen gemacht hat.

Einige von uns leben schon so lange mit unseren verschiedenen Krankheiten und Einschränkungen, dass wir längst darüber lachen können. Manche nutzen Humor sogar als Copingstrategie, also als Weg, daran nicht kaputt zu gehen. Deshalb kann man nicht allgemein sagen, dass man über Behinderungen keine Witze reißen darf. Im Gegenteil, ich persönlich mag es manchmal ganz gern, wenn jemand so kreativ ist und einen Witz macht, den ich noch nicht kenne. (Es gibt da einen relativ schlüpfrigen, der eigentlich auch echt schlecht ist, den ich aber dennoch lustig finde. Kann ihn nur wegen der Altersfreigabe hier nicht teilen.)

Aber für solche Witze sollte ein gewisses Vertrauensverhältnis da sein. Man sollte denjenigen soweit kennen, um zu wissen, ob er darüber selbst lachen kann.

Daher Regel Nummer 2: Lache niemals über einen Behinderten, den du nicht kennst, sondern nur mit dem Behinderten, der dich kennt.

Das geht in die gleiche Richtung wie Regel 1, aber noch darüber hinaus. Es geht hier um Sympathie, wie in Regel 1, aber auch darum, dass es sich niemals so anfühlen darf, als käme es von oben herab oder von einem Fremden, der einen schlicht nicht einschätzen KANN.

Ich habe sogar festgestellt, dass ich an meiner Reaktion auf Witze und ‚dumme' Sprüche am ehesten erkenne, wen ich mag.

Dazu eine Anekdote: Ich bin auf dem Sommerfest meiner Uni, schaue zwei Studententeams dabei zu, wie sie Fußball spielen. Plötzlich kommt eine Stimme von rechts. Ein Kumpel hat sich neben mich gestellt und zu reden angefangen, leider genau auf meine rechte Seite. Die, wo ich kein Auge habe. Ich halte mir die Brust, weil ich verdammt schreckhaft bin, und mein Herz in solchen Momenten kurz etwas weh tut. Ich lache aber. „Hey, du weißt doch, dass ich rechts nichts sehen kann", grinste ich ihn an. „Erschreck mich doch nicht so."

Er ist erschrocken und vermutet einen Fauxpas, aber ganz ehrlich, das ist absolut kein Problem. Natürlich erschrecke ich mich nicht gern, aber das kann genauso gut passieren, wenn jemand von links kommt und ich nur in Gedanken bin. Und immer daran zu denken ‚die hat rechts kein Auge, ich darf sie auf keinen Fall von rechts anreden', ist doch auch albern.

Später am Abend grillen wir vor dem Institut und mein Professor, der die Szene vorher mitbekommen hat, weil er links fast direkt neben mir stand, stellt sich nun rechts neben mich. Ich spüre Körperwärme neben mir, denn es ist kühler geworden. Außerdem kann ich seine Bewegungen hören, drehe mich also um und nicke ihm zu, zur Begrüßung, denn geredet haben wir heute noch nicht. Und immerhin gibt er mir Noten, da will man schon höflich sein.

Er grinst und zwinkert: „Sie können mich gar nicht sehen, ich bin doch rechts von Ihnen."

Erst in dem Moment merke ich, dass ich den Mann ganz gut leiden kann. Er hat einen eher provokanten, manchmal richtig bösartigen Humor, aber vorher bin ich nie in die Lage gekommen, selbst mal Ziel seiner Scherze und kleinen Kommentare zu sein, weshalb ich ihn nicht einschätzen kann. In dem Moment aber weiß ich es. Der kann gern Witze über mich machen, solange sie nicht zu geschmacklos werden.

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