Busfahrt für Fortgeschrittene

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- Krankheit der Stunde: Skoliose, Klaustrophobie, Asthma, Reizblase, ... -

Über fünfzehn Jahre musste ich beinahe täglich mit dem Bus zur Schule und später Uni und zurück. Und in dieser Zeit musste ich feststellen, dass Busse für Behinderungen schlicht nicht geeignet sind. Hier eine Auswahl meiner Erlebnisse, diesmal in Kurzform, um nicht zu langweilig zu werden:

Dank Klaustrophobie ist jede Fahrt mit einem Bus zu Schulzeiten der blanke Horror. Nicht nur, dass ich schon um Viertel vor Fünf aufstehen muss, um trotz meiner Behinderungen pünktlich zur ersten Stunde zu kommen - und auch das klappt nicht immer, der vorige Bus fährt aber eine ganze Stunde früher, so dass er für mich nicht erreichbar ist, wenn ich wenigstens ein Minimum an Schlaf will. Der Bus ist auch jeden Morgen wieder völlig überfüllt. Denn das Problem haben fast alle Schüler. Sie alle bräuchten eigentlich einen Bus, der wenigstens zehn Minuten früher fährt, um mit Sicherheit pünktlich zur Schule zu kommen. Und die Rentner pünktlich zum Arzt, denn auch die machen ja um 8 Uhr auf. So müssen also alle, die kein Auto haben, aber Termine einhalten müssen, sich in diesen Bus quetschen. Ein einziger Bus für die Stoßzeit einer Gemeinde von 13.000 Menschen. Intelligenz geht anders.
Oft bin ich hinterher schon völlig am Ende und habe eigentlich keine Energie mehr für die Schule. Denn, wie gesagt, ich habe Verdacht auf Asperger, den gleich mehrere Ärzte teilen. Und in solchen Momenten merke ich das besonders gut. Die Menge an Lärm, das sich durch Bäume und Häuser immer wieder ändernde einfallende Licht, und die stickige Luft mit den Gerüchen von Schweiß, teils Erbrochenem, Deo, Parfüm und einigem Essen, sind einfach zu viel für ein kleines Hirn, dass so viele Reize nicht auf einmal verarbeiten kann.
Entsprechend versuche ich, der gleichen Situation nachmittags aus dem Weg zu gehen. Und so bin ich bei Schulschluss um 13 Uhr erst knapp drei Stunden später zuhause, weil ich die vollen Busse ignoriere, sofern ich sie nicht unbedingt nehmen muss.
Aber trotzdem muss ich mich auch in den späteren Bussen oft noch durch Menschenmengen kämpfen. Die sind etwas leiser, weil jetzt die Arbeitnehmer Feierabend haben und nicht, wie Kinder, laut Gameboy spielen oder den neuesten Klatsch austauschen müssen. Aber viele sind sie eben doch. Und da kommt dann neben dem Asperger auch noch meine Klaustrophobie ins Spiel.
Obwohl ich nicht lange schmerzfrei stehen kann, tu ich das im Bus mittlerweile lieber, weil ich so wenigstens das Gefühl habe, fliehen zu können. Der Rucksack, der im Sitzen auf meinen Beinen liegen müsste, drückt sonst nicht nur auf meine Blase, sondern blockiert mich nur in noch eine Richtung. Und ganz furchtbar ist es, wenn ein Fremder neben mir sitzen will. Ohne Körperkontakt kommt das nicht aus, dabei bin ich nicht übergewichtig. Und es gibt nichts Schlimmeres für mich, als Körper anderer Menschen an sich zu spüren. Denn nein, ihrjenigen, die ihr aktuell neben Manspreading auch über 'Backpacking' im Rucksack schimpft und all die, die das machen, als asozial bezeichnet: Nicht jeder, der das macht, ist asozial. Viele von uns haben einfach nur Panik davor, von Fremden berührt zu werden. Eingeengt zu werden. Oder gar angesprochen zu werden, von Fremden. Für Menschen mit manchen Behinderungen und Krankheiten, ist Backpacking die einzige Möglichkeit, den Bus überhaupt nutzen zu können. Wenn ihr sie verteufelt, nehmt ihr ihnen die letzte Freiheit, die letzte Möglichkeit, mal aus dem Haus zu kommen. Wenn ihr hier also unbedingt fordert, dass jeder sich sozial verhalten und Rücksicht nehmen soll, packt euch doch erst einmal an die eigene Nase.
Meine bisher favorisierte Lösung für solche Situationen ist immer, mich an die Scheibe zur zweiten Tür zu lehnen, und meinen Rucksack am Boden als Abgrenzung zu anderen Menschen zu nehmen. Das Glas kühlt nicht nur und verhindert, dass Rücken und Hüfte vom Stehen schmerzen, es schützt mich auch vor Kontakt zu einer Seite hin. Natürlich engt es mich auch ein, ebenso wie das Fenster direkt daneben, aber meine Klaustrophobie wird besser, wenn ich wenigstens die Illusion eines Fluchtwegs habe, sehen kann, dass es ein Draußen gibt und keine anderen Menschen zwischen mir und diesem Draußen stehen. Leider ist dieser Platz aber reserviert für Rollatoren und Kinderwagen, so dass ich sehr oft weichen muss. Natürlich freiwillig, denn ich will eben nicht als asozial gelten. Aber spätestens ab dann wird die Busfahrt für mich zu einer echten Hölle, nach der ich nur noch ins Bett gehen kann, weil ich für nichts anderes mehr die Kraft habe.

Unter drei AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt