Studieren mit Behinderung

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- Krankheit der Stunde: eigentlich die gesamte Kombination -

Ich stehe wieder vor meiner alten Schule, bin zurück, wie geplant. Habe mich aus dem tiefen Loch der Depression wieder rausgekämpft, um zurück zu kehren. Denn zwei Dinge sind klar: Als Behinderte brauche ich im Leben mein Abitur, wenn ich auch nur die geringste Chance haben will. Nur durch formal belegbare Qualifikationen kann ich beweisen, dass ich Leistung erbringen kann.

Und ich lasse mich von keinem Sexisten der Welt von meiner Schule mobben. Hier kenne ich alles, die Klos, die Lehrer, die Strukturen. Das gibt mir Sicherheit. Und diese Schule hat mir sogar ermöglicht, ein Jahr zu pausieren und dann erst die Klasse zu wiederholen. Das ist nicht selbstverständlich.

Man mag mich hier, mit Ausnahme einiger weniger Personen. Man hat für mich gekämpft, mit dem Schulamt. Denn eigentlich hätte ich das nicht mehr machen dürfen, da ich offiziell die 13. Klasse angefangen habe. Ich hätte nur die noch einmal wiederholen dürfen. Aber meine Lehrer haben mir das ermöglicht.

So schaffe ich mein Abitur im zweiten Anlauf ohne einen einzigen Unterkurs und mit zumindest der besten Note unserer Familie. Dank meinem Theater-Lehrer und seiner Art, mich zu motivieren, sogar besser, als es kurz vor den Prüfungen noch den Anschein hatte, weil ich in der Schlussphase über mich hinauswachse.

Dann geht es ans Studium. Nach langem Überlegen entscheide ich mich für meine Heimatuniversität. Denn ich kriege kein Bafög, aber so viele Nebenjobs, dass ich mir selbst eine Wohnung finanzieren kann, kann ich mit Behinderung neben dem Studium einfach nicht machen.

Weiter muss ich also lange pendeln. Weil die Busse morgens so schlecht fahren, sind es im Schnitt drei Stunden für Strecken, die mit dem Auto insgesamt 40 bis 50 Minuten dauern würden. Aber wenigstens gibt es das Ticket quasi umsonst mit den Semestergebühren, so dass keine weiteren Kosten für mich entstehen.

Bevor jemand das falsch versteht: Ich habe mein Studium geliebt. Ab dem dritten Semester, als wir endlich aus dem reinen Theorieteil rauskamen, hat es mir unglaublich viel Spaß gemacht. Ich will mich nicht über mein Studium im Allgemeinen beschweren und bin sehr dankbar, dass ich es machen durfte. Ich bin dankbar, dass mir mein einer Prof ermöglicht hat, in unserer Institutsbibliothek erst mein Pflichtpraktikum zu machen und dann dort sogar mein erstes eigenes Geld zu verdienen. Die meisten meiner Profs und Dozenten haben mir geholfen, in den Studienarbeiten genau meine Interessen zu verfolgen, auch wenn das hieß, wissenschaftlich absolutes Neuland zu betreten. Als kleiner Student.

Aber ich möchte auch nicht verhehlen, dass Studieren mit Behinderung gleichzeitig unglaublich anstrengend ist.

Von Anfang an habe ich Probleme, beim Tempo mitzuhalten. Nicht in der Mitarbeit in den Kursen, also den Diskussionen nach Referaten. Anderen die Ohren abquasseln konnte ich schon immer, und Diskussionen sind die einzigen Momente, in denen ich mich wirklich lebendig fühle.

Nein, mein Problem sind zunächst die Pflichttexte. Ich kann einfach nicht Querlesen. Ich beherrsche es nicht und kann mich nicht dazu bringen, habe zu sehr Angst, irgendetwas zu verpassen. Wieder und wieder probiere ich es, aber ich lerne es einfach nicht. Das Problem hat mein einer Professor erst in meinem letzten Masterkurs bei ihm verstanden. Als ich ihm sage, dass ich teilweise zehn Stunden an den Texten sitze, schaut er mich groß an. So würde man das doch nicht machen. Alles, was man nach einer Stunde noch nicht gelesen habe, sei es nicht wert. Dann solle man nur noch das Fazit lesen und das würde für die Kurse schon reichen. Und ich sitze mit offenem Mund da. Die ganzen Jahre hinterfrage ich mich, weil ich scheinbar langsamer lese als meine Kurskameraden. Bin ich dümmer? Hab ich vielleicht das falsche Studium gewählt? Nein, die mogeln nur alle, nehmen Abkürzungen und sind nicht zu feige, auch mal vielleicht ein wichtiges Argument in einem Text zu überlesen.

Unter drei AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt