Augenmacher

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- Krankheit der Stunde: Glasauge - 


Behindert zu sein, heißt aber nicht nur, gedemütigt, ausgegrenzt oder angefeindet zu werden, oder gar Schmerzen zu haben. Teilweise geht das auch mit Dingen einher, die für uns alltäglich, normal, höchstens langweilig sind, aber eben nicht unangenehm. Dinge, die schlicht für uns dazugehören, von denen ein gesunder Mensch aber teilweise noch nie gehört hat. Lasst mich euch zu so etwas mitnehmen. Wir gehen zum Augenmacher.

Nun ist das nicht der Fachbegriff. Augenprothetiker oder Ocularist heißt der Beruf in Wirklichkeit. Doch obwohl das Wort Ocularist unglaublich gut und nach Okkultismus klingt, bleibt mein Augenmacher für mich doch von klein auf mein Augenmacher.

Und es ist wirklich immer der gleiche. Der Mann kennt mich seit 25 Jahren. Und ist der Einzige, der mein Auge machen kann.

Aber fangen wir von vorn an. Ich brauche also wieder ein neues Glasauge. Das muss eigentlich alle sechs Monate bei mir gemacht werden, weil meine Augenhöhle in den letzten Jahren dauerhaft entzündet ist, und daher noch empfindlicher auf die kleinen Abnutzungen reagiert, die die Tränen über die Zeit hinweg an der Oberfläche des Glasauges hinterlassen. Mit diesen Entzündungen verändert sich aber auch die Augenhöhle, so dass die Form nicht gleich bleibt. Auch hier muss dann einfach ein neues Auge her, weil das Alte so schlicht nicht mehr hält.

Aber auch, wenn ich weiß, dass es eigentlich sein muss, schaffe ich es nicht alle sechs Monate zum Augenmacher. Denn das ist immer mit einer kleinen Odyssee verbunden. Ich muss zuerst zum Hausarzt. Wenn der noch genug Geld in diesem Monat für Rezepte hat, denn Ärzte haben ja nur ein gewisses Budget, aus dem sie diesbezüglich schöpfen können - was ich nie verstehen werde -, dann kann ich es mir hier schon holen. Ansonsten bekomme ich eine Überweisung zum Augenarzt. Der ist allerdings in der nächsten Stadt.

Auch hier habe ich Glück. Mein Augenarzt ist zwar weit über das Rentenalter hinaus, praktiziert aus Ärztemangel in der Stadt aber immer noch. Und er kennt mich seitdem ich als Neugeborenes aus dem Krankenhaus kam. Er nimmt mich immer sofort dran, auch wenn ich mal nur spontan vorbei komme, wenn ich eh in der Stadt bin, um mir einen Termin zu holen. Wartezeiten habe ich bei ihm auch kaum welche. Obwohl ich kein Privatpatient bin, bin ich schon als Kind zu einer Art Vorzugspatient bei ihm geworden.

Jetzt habe ich also endlich mein Rezept für ein Glasauge - und oft auch gleich noch eines für eine neue Brille, denn wann immer ich greifbar bin, tropft er auch meine Augen und misst alles, was ihm in die Finger gerät. Und fast immer ist mein 'gesundes' Auge dabei schlechter geworden. Aber so sehr mich das auch nervt, wieder einmal wegen der Tropfen kaum etwas zu sehen, ist es ein tolles Gefühl, einen Arzt zu haben, der sich wirklich für einen ins Zeug legt.

Nun muss ich mein Rezept zum Augenmacher schicken. Der wiederum schickt es zur Krankenkasse. Denn obwohl die weiß, dass kein anderer Augenmacher in der Nähe ist, und auch die, die ich anderweitig ausprobiert habe, an meiner komplizierten Augenhöhle verzweifelten, besteht sie doch darauf, sich immer erst einen Kostenvoranschlag geben zu lassen. Das soll in der Theorie nicht mehr als vier Wochen dauern. In der Praxis aber sind es dann doch gerne mal acht, weil das Rezept irgendwo zwischen den Abteilungen verloren gegangen ist, jemand im Urlaub ist, oder die Kostenübernahme zwar schon zugesichert, der Brief dafür aber noch nicht rausgegangen ist. Selbst ein Krankenkassenwechsel hat da nichts gebracht. Ich bin vor einigen Jahren zu einer Kasse gewechselt, die bis zu dem Zeitpunkt keinen Kostenvoranschlag wollte. Ich weiß nicht, ob ich der ausschlaggebende Punkt war, aber genau ein Augenrezept später wollten sie auch einen haben.

Nach im Schnitt etwa 6 Wochen bin ich also jetzt endlich berechtigt, mir ein Glasauge machen zu lassen. Dann geht es meist sehr schnell. Mein Augenmacher ist mindestens einmal im Monat in meiner Stadt. Denn da kaum eine Stadt einen Augenmacher ortsansässig hat, reisen viele.

Unter drei AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt