Mein Lehrer, der Sexist

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- Krankheit der Stunde: eigentlich keine, hintergründig Glasauge; Trigger: Sexismus -

Zurück in der Schule. Ab der neunten Klasse kommt Frieden auf. Die Jungs fangen an, sich für Mädchen zu interessieren. Nur einer hackt noch wirklich auf mir herum, und manchmal gibt es ein paar blöde Sprüche, aber das Leben wird angenehm. Ausgerechnet jetzt zieht der Endboss in die Arena, wenn auch noch nur mit einem Gastauftritt. Er hat uns nur ein halbes Jahr, nur zwei Stunden in der Woche und in einem völlig unwichtigen Fach. Aber als er das erste Mal in die Klasse kommt und noch vor seiner Vorstellung einer Schülerin sagt, was für schöne große Brüste sie doch bekommen hat, seit er sie in der sechsten Klasse an einer anderen Schule unterrichtet hatte, ist mir klar: Den Kerl kann ich nicht ausstehen. Ein solches ‚Kompliment' kann man einem Kind von 14 oder 15 Jahren echt nicht machen. Erst recht nicht als Autoritätsperson.

Den Rest der Zeit hält er sich jetzt zum Glück zurück. Immerhin sind wir alle noch unter 16 Jahren. Er lässt uns zwar spüren, dass er Jungen für wertvoller hält und Mädchen nur dann mag, wenn sie dem gesellschaftlichen Schönheitsbild entsprechen, gibt seine Noten auch teils auf der Basis, macht es aber bisher nur ‚schonend'.

Und so fallen meine Noten zwar seinetwegen etwas ab, aber nicht dramatisch. Und im nächsten Schuljahr werden sie wieder besser, also ist es nicht weiter tragisch.

Ich habe ihn schon fast vergessen. Da komme ich in die 12. Klasse. Das erste von vier Abi-Halbjahren. Nicht mehr lange und ich bin frei.

Nur leider kriege ich ihn als meinen Lehrer im Leistungskurs. Und mich mag er nicht. Denn ich bin weder ein Mann, noch ein hübsches Mädchen. Damit bin ich für ihn unwürdig.

Wieder bringt er Sprüche, bei denen sich mir die Fußnägel einrollen. Als eine Mitschülerin bei sommerlichen Temperaturen - in unserem Kursraum direkt unterm Dach meist über 40 Grad - im Rock zur Schule kommt, grinst er schmierig: „Ich mag den Sommer. Da kann man den Mädchen so schön unter die Röcke schauen."

Ein anderes Mal starrt er mich bei Stillarbeit eine halbe Stunde an, durchgängig. Ich frage ihn, ob etwas ist. Mir ist unwohl dabei.

„Frauen müssen es akzeptieren, von Männern angestarrt zu werden", ist seine lapidare Antwort.

Ich sage, dass ich den Spruch ehrlich gesagt frauenfeindlich finde. Bin heimlich unglaublich froh, dass ich nicht hübsch bin. Dass er mich sicher nicht deswegen anstarrt. Sondern nur, weil zwischen uns eh schon eine stillschweigende Feindschaft herrscht und er mir seine Macht demonstrieren will.

Dass ich ihn offen kritisiere, sorgt dafür, dass er mich noch mehr auf dem Kieker hat, noch weniger ausstehen kann.

Ich gebe zu, ich mache es ihm auch nicht leicht, mich vernünftig zu behandeln. Statt, dass ich versuche, ein professionelles Verhältnis zu fördern, gehe ich in eine Verweigerungshaltung. Ich mache keine Hausaufgaben, obwohl sein Fach bisher eines meiner liebsten war. Aber ich halte sie schlicht für unsinnig. Auch ohne mich durch die Texte zu quälen, kann ich mitdiskutieren, das bestätigen mir auch meine Klassenkameraden. Er aber sieht das als Grund, mich noch weit unter der ohnehin eh schon nicht groß erbrachten Leistung zu bewerten.

Bei der ersten Vergabe von Zwischennoten setzen sie sich geschlossen für mich ein. Mädchen, die ich bisher nur als oberflächliche Biester kannte, und die Jungen, die mich vor wenigen Jahren noch bis aufs Blut peinigten. Sie alle beschweren sich, dass die vier Punkte mündlich viel zu wenig wären. Dass ich zu denen gehöre, die sich am meisten melden, am meisten zu sagen haben.

Aber ich könne die Fachtermini nicht, sagt er. Dann könne ich auch gleich die Klappe halten, so seien meine Aussagen nichts wert. Und überhaupt, meine Mappenführung sei unterirdisch. Ja, ist sie. Das gebe ich offen zu und das war sie schon mein Leben lang. Aber wir sind nicht mehr im Kindergarten. Es ist das System, mit dem ich am besten umgehen kann. Ich habe ordentlich geführte Mappen ausprobiert. Und sie zuhause vergessen. Alle Fächer in meinem Block zu sammeln, hat einfach immer besser geklappt. So muss ich kurz suchen, habe aber wenigstens alles dabei.

Auch schriftlich bin ich nicht gut. Denn leider sind die Klausurfragen zum Teil über die Exkursionen, die er uns aufzwingt.

Bei der einen Exkursion lag ich mit einer Grippe im Bett, und bei der anderen ist mir morgens eine Ader im Auge geplatzt. Zum ersten Mal in meinem Leben. Im Unterricht.

Heute weiß ich, dass das in den meisten Fällen harmlos ist. Im Unterricht werde ich aber panisch, als es geschieht. Ich habe nur ein Auge, wenn darin Adern platzen, finde ich das also nicht gut. Ich entschuldige mich also bei ihm, und sage, dass ich zum Augenarzt gehe, um das abzuklären. In die Notfallsprechstunde. Er sieht das Blut in meinem Auge, nickt, entlässt mich offiziell und nimmt die anderen mit zum Bus.

In der nächsten Stunde schreiben wir die Klausur und mir fallen fast die Augen raus - diesmal nicht wortwörtlich, leider. Das hätte zumindest einen schönen Effekt gehabt.

Ich kann nicht fassen, was ich da als Aufgabe lese: „Was hat uns die Angestellte in Halle X bei unserer Exkursion zu VW erzählt? Erkläre es mit deinen eigenen Worten."

Ich komme trotzdem schriftlich auf 5 Punkte, in beiden Klausuren. Aber er gewichtet mündlich höher. Nur bei mir. Ich kriege einen Unterkurs, während eine Mitschülerin mit gleicher Notenverteilung noch 5 Punkte in der Gesamtnote erhält.

Damit ist für die anderen das Maß voll. Ausgerechnet der, den ich mit gemobbt habe, schreibt einen Brief ans Schulamt. Zählt alles auf, was dieser Lehrer getan hat. Nicht nur die ungerechte Notenvergabe, natürlich. Auch den Sexismus. Das offene Bevorzugen von Jungen und die schmierige Art, mit Mädchen umzugehen. Es ist den Jungen selbst peinlich, wenn er sie dazu animiert, auf seine schlüpfrigen Witze hin zu lachen. Wohlgemerkt keine halbwegs stilvollen wie sie Jürgen von der Lippe erzählt. Selbst sie fühlen sich bei ihm unwohl.

Mein Held der Stunde zeigt uns den Brief, bevor er ihn losschickt und wir alle unterschreiben, jeder Einzelne von uns. Wir bewundern seinen Mut. Und seine Idee, denn wir wären nicht einmal drauf gekommen, dass wir uns wehren könnten.

Können wir ja auch nicht, wie wir lernen müssen. Das Schulamt kontaktiert die Schule. Die Schulleitung kommt zu uns und sagt, entweder wir ziehen die Anschuldigungen zurück, oder der Verfasser des Briefes fliegt von der Schule. Er ist völlig aufgelöst. Und wir auch.

Welche Wahl haben wir? Mittlerweile sind wir eine Schicksalsgemeinschaft. Wir lassen keinen über die Klinge springen, nicht einmal dafür.

Aber ab da wird es schlimmer. Ich gebe mir mehr Mühe, will keinen Unterkurs mehr. Kann mir den nicht mehr leisten, denn ich habe einen zweiten im Musikergänzungskurs, völlig zurecht. Ein Dritter und ich kann das Abi vergessen.

Aber innerlich habe ich den Kampf längst verloren. Ich werde immer kränker. Falle immer öfter aus. Ich schaffe es, mit Müh und Not, im zweiten Halbjahr fünf Punkte auf dem Zeugnis zu bekommen, aber im nächsten Halbjahr komme ich gar nicht mehr richtig wieder. Schon Ende September habe ich 26 Fehltage angesammelt, zu viel, um zum Abi zugelassen zu werden. Außer in diesem einen Fach und Musik, das ich nur wegen meines Sportattestes belegen musste, um nicht unter die Minimalgrenze an Wochenstunden zu fallen, sind meine Noten eigentlich okay. Teils sogar richtig gut. 11 Punkte in Mathe? Obwohl das immer mein schwächstes Hauptfach war?

Aber mein Körper und meine Psyche machen nicht mehr mit. Meine Ärztin weist mich drauf hin, dass die ständigen Asthmaanfälle, Erkältungen und Magen-Darm-Infekte, die Schwäche und Müdigkeit vermutlich psychosomatisch sind.

Ich breche die Schule ab und gehe mit einer mittelschweren Depression in Therapie. Ich kann nicht mehr gegen Windmühlen kämpfen. Gegen Lehrer, die Frauen nur als Objekte ansehen. Und mich nicht mal als das.

Ich wurde von Mitschülern gehänselt, geschlagen und beinahe die Treppe runtergeworfen. Mir wurde immer wieder offen kommuniziert, dass ich zu hässlich, zu anders, einfach zu ZU bin, als dass man sich in mich verlieben könnte. Man hat mit meinen Gefühlen gespielt. All das hat mich nie zerbrochen, am Ende nur härter gemacht, kampflustiger. Aber dieser Lehrer hat meine Seele zerstört. Er war der Anfang von einem Problem, das mich bis heute nicht loslässt.

Unter drei AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt