Die Bucht der dreiheiligen Lanze

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Der Abend war über das Land hereingebrochen und die Sonne hatte schon vor einigen Stunden ihre letzten Strahlen über die Klippen und Strände geschickte. Im Horizont begann sich der pinke Himmel allmählich lila zu verfärben und mit dem immer dunkler werdenden Blau zu vermischen. Es war ein schöner Anblick, den sich auch Namira und einige der anderen Meerjungfrauen nicht entgehen ließen, während sich Amonias im inneren der Anlage mit Auredon über die Zeit, weit vor ihrem Kontakt mit der schwarzen Magie unterhielt.

"Weißt du noch damals, als wir Nächte lang gefeiert und uns auf den Bällen des Adels amüsiert haben?", seufzte Amonias. "Das ist so viel Nostalgie, wenn ich mir dieses wunderschöne Kleid hier ansehe."

"Du bist aber auch auf der Tanzfläche von einem Mann zum nächsten gewirbelt und jeder war von dir verzaubert. Ich habe auf keiner Feier auch nur einen gesehen, der dir nicht verfallen war", lachte Auredon und schaute ihrer Freundin, dabei zu, wie sie ihre alten Kleider durchwühlte und durchsuchte, während sie mit übereinander geschlagenen Beinen an der Kante der Quelle saß.

"Ach komm schon, ich gebe ja zu, dass ich einen gewissen Charme hatte, und auch immer noch habe, aber du warst auch nicht schlecht", erwiderte Amonias kichernd und strich über den Stoff ihrer Kleider. "Kannst du dir vorstellen, dass diese Erlebnisse schon über zehntausend Jahre her sind?"

Die Hexe schwieg eine Weile. Ihr Blick glitt an ihrem blasslila farbenden Körper hinunter, der zum Teil in einem weißen Kleid steckte. Ihre Haut und Haare waren nach dem Bad mit Amonias wieder viel frischer und sanfter. Doch trotzdem hatte sich die Länge ihrer lilapinken Haare seit dem Brand in ihrer Villa um einiges verkürzt. Obwohl sie damals sowieso mal wieder über einen neuen Haarschnitt nachgedacht hatte.

Sie gab es nicht gerne zu, aber sie hatte die Menschen unterschätzt, was an ihrem Ausbruch aus den ewigen Wäldern allerdings auch nichts geändert hatte. Ihre Fänger, Prinzessin Alexia und Maya, wussten, dass sie sie nicht lange dort festhalten konnten, ebenso wie sie.

Ihre Villa war in dem Moment, in welchem sie mit ihrer Freundin redete, dabei wieder aufgebaut zu werden, was sie zum Teil auch Amonias verdankte, die ihre Schuldner, belegt mit ihrem Siegel, dort hingeschickt hatte.

"Es ist sowieso kaum zu glauben, was in den letzten zehntausend Jahren passiert ist", antwortete Auredon nachdenklich, was Amonias dazu brachte sich zur ihr umzudrehen. "Mich wundert es, wenn ich ehrlich bin, eigentlich am meisten, dass deine Kleider die ganzen Jahre ohne einen Kratzer überstanden haben. Mit wie viel schwarzer Magie hast du da wohl gespielt?"

"Na hör mal! Ich kann doch diese kostbaren Prachtstücke nicht einfach hinter mir lassen", erwiderte sie und deutete auf die teure Seide und Stoffe, aus denen ihre Kleider bestanden. Sie hätte auch in Lumpen und mit Dreck überseht zu den zahlreichen, in der Vergangenheit liegenden Bällen kommen können und trotzdem wäre ihr jeder auf Anhieb verfallen. "Außerdem hat Papa eine ganze Menge dafür hingelegt, nachdem seine kostbare Tochter den wohl schlimmsten Liebskummer in der Geschichte des Landes erlebt hat."

Auredon konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen, als sie der Meerjungfrau zuhörte und sie dabei beobachtete, wie sie eine ihrer alten Ketten um ihren Hals legte. "Hast du nicht noch vor wenigen Stunden behauptet, du seist darüber hinweg?"

"Bin ich ja auch", meinte Amonias und schien dabei nur halb bei der Sache zu sein. Den anderen Teil ihrer Aufmerksamkeit widmete sie ihrer Kette.

"Aber sagen wir mal", setzte sie an, "würde es noch leben, würde ich ihm mit Freuden jede einzelne seiner Federn rausreißen und es anschließend an meine Meerjungfrauen verfüttern."

"Ich seh schon, du bist voll und ganz darüber hinweg", erwiderte die Hexe und amüsierte sich über Amonias leicht beleidigtes Gesicht. Sie nahm die mit Perlen und Edelsteinen besetzte Kette von ihrem Hals und drehte sich zu Auredon um.

Fisch - Die Kriege sind noch lang (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt