Wandel

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Unbarmherzig peitschten Wellen und Winde, wirbelten Sand auf und rissen ganze Bäume mitsamt ihren Wurzeln aus der Erde, als wären diese keine Masse, die über mehrere Jahrzehnte erst zu dieser Größe heranwachsen musste. Die Boote, die am selbigen Tag noch friedlich auf dem klaren Wasser gewankt waren, sind an der Küste zerschellt oder durch den Sturm an Land getragen worden; ihre Segel zerrissen, der Körper voller Löcher und teilweise lagen sogar ganze Teile des ehemaligen Konstrukts im grau verblichenen Sand verteilt.

Es schien, als würde jemand weinen. Schreien, toben, um sich schlagen. Verzweifelt rufen: "So helft mir doch!", und doch von Wut getrieben bleiben.
Mir schien, als könnte Ich etwas erkennen. An der Gischt vorbei, im Wasser treibend erblickte Ich eine zierliche Gestalt.
Ihr junges Gesicht war geprägt von Zorn, doch in ihren Augen spiegelte sich tiefste Trauer. Was hatte diese arme Seele nur so stark zerrissen? Was hatte dazu geführt, dass sie im kalten Meer gefangen war?
Ein Gefühl fuhr wie ein leichter Stromstoß durch meinen Körper; dieses Gefühl, als hätte Ich diese Gestalt schon einmal irgendwo gesehen, doch wo?
Nun mach schon!, schalte deinen Kopf ein und überlege, an welchem Ort dies möglich gewesen wäre!
Die Stadt, es muss irgendwo in der Stadt gewesen sein!, so viel war mir klar. Nur fiel es mir schwer mich zu erinnern, wenn der Wind mir zeitgleich meine Haare ins Gesicht peitschen musste. So gut es mir gelingen wollte, strich Ich mit meiner linken Hand wiederholt diesen störenden Faktor aus meinem Gesicht.
Dabei scannte Ich den Strand nach einem Anzeichen eines hoffentlich noch lebendigen Joshua's ab.
Gegen Mittag hatten wir uns gemeinsam hierher aufgemacht, um ein weiteres Foto zu schießen; aber auch, um den ganzen Gerüchten aus der Stadt mal ein wenig auf den Grund zu gehen. Kaum hatten wir allerdings einen Fuß auf den Sand gesetzt, hatte sich in nur wenigen Minuten dieser Sturm zusammen gebraut und in seiner Tobsucht nichts als Zerstörung hinterlassen. Und so, wir wir den scheinbaren Mordinstrumenten ausweichen mussten, haben wir uns leider aus den Augen verloren.
Ein weiterer Grund, weswegen Ich mehr als nur erleichtert war, als Ich ihn in gedruckter Haltung über den Sand hinweg robben sah, direkt in meine Richtung. In einer anderen Situation hätte Ich darüber lachen können, aber hier ging es gerade um Leben und Tod, weswegen Ich es dann doch lieber sein ließ.

Je näher er mir kam, desto deutlicher konnte Ich die Kamera um seinen Hals erkennen, welche durch den Sturm munter auf und ab hüpfte. Wegen der Stärke, mit welcher sie sich im Moment präsentierte, kam mir dieser Gedanke, als müsse Ich ein Foto von dieser Katastrophe machen. So absurd und abwegig es auch klang, aber es fühlte sich genau jetzt wie das einzig Richtige an. Und so fiel es mir auch wie Schuppen von den Augen; die Fotos im Café, genau! Dort war diese junge Dame verewigt worden! Mit genau demselben Kleid, genau demselben Aussehen, und dazu noch Joshi's Worten zu diesen Bildern: "Fotos verleihen einem Moment Unsterblichkeit. Nur wird mir etwas mulmig zumute, wenn Ich bedenke, dass die Personen auf den Bildern längst tot sein könnten."

Und ja, das war sie vermutlich. Genau hier im tiefsten blau ertrunken, getrieben von Rache, Schuld und dem Bedauern, dass sie hier auf ewig ganz alleine sein würde, ohne erreicht zu haben, was sie sich zu ihren Lebzeiten einst vorgenommen hatte.
Was eine Tragödie.

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