Versprichst Du Mir Etwas, Liebste Jean?

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Wir rannten und rannten und anhand der Geräusche hinter uns konnte ich nicht einschätzen, ob er näher kam oder zurück fiel. Das wurde auch noch durch heftiges atmen meinerseits behindert, wie auch durch mein mit einer übermäßigen Stärke schlagendes Herz, weswegen es sich anfühlte, als würden mir Herz und Lunge gleich aus dem Brustkorb springen. Wir hatten aber nicht die Zeit um anzuhalten und zu verschnaufen, sonst könnte wer weiß was mit uns passieren. Der Gedanke an den Tod, welcher mir in diesem Moment durch den Kopf schoss, jagte mir panische Angst ein und trieb meine Beine weiter zum Laufen an, über das Taube Gefühl und die dumpf-stechenden Schmerzen in ihnen hinaus. Joshi bestimmte, wo es lang ging, und so navigierte er uns beide von einer Seitenstraße in die Nächste, und was dabei nicht niet- und nagelfest am Boden befestigt war, wurde auf unserer Flucht einfach umgeworfen. Es schepperte und krachte und langsam spürte ich wieder den Schmerz beim Atmen, den Schmerz in meinen Beinen und die überwältigende Erschöpfung, die von reinster Panik begleitet worden war. Mir war unglaublich heiß, ich fühlte mich hilflos und ich spürte wie unbändige Tränen über mein Gesicht liefen, die ich nicht mehr zurück halten konnte.
»J-Jo-shi!«, krächzte ich einmal, dann bekam ich keine Luft mehr und gab nur noch lausige, undefinierbare Laute von mir, denn zum sprechen reichte die Kraft nicht mehr aus. Meine Beine gaben unter mir nach und ich konnte nicht mehr sagen, wo oben und wo unten war, denn es drehte sich alles und es pochte und krachte und ich verlor entgültig meinen Sinn für Orientierung. Ich konnte nur noch spüren, dass ich mich bewegte. Ich wusste aber nicht, wohin. Und ich konnte auch nicht sagen, wie. Mir kam es aber so vor, dass ich eine Stimme hören konnte. Aber ich verstand die Worte nicht und konnte sie nirgendwohin zuordnen. Ich kannte sie aber, und sie blieb eine Ewigkeit lang bei mir, sich ständig wiederholend. Und in einem Moment, welcher schwebend in Raum und Zeit gefangen war und weder heute noch morgen kannte, wurde die Welt wieder etwas klarer. Ich konnte nicht sagen, ob meine Augen offen gewesen waren, denn ich hatte nichts sehen können. Aber nun kehrten langsam wieder Bilder zurück, oder eher nur eines. Ich sah ein Gesicht, genau das war es. Etwas bewegte sich darin, es kam mir bekannt vor. Es kratzte etwas, und, ach ja. Das waren kleine Bartstoppel am Kinn. Die Haut war dunkler, von tiefen Schatten durchzogen, und die braunen Augen erschienen dadurch fast schwarz. Und da war dann noch etwas..., genau! Die kleine, weiße Narbe, die sich durch seine rechte Augenbraue zog.
»Bleib bei mir, es ist alles gut. Atme tief durch. Ein-, dann wieder aus. Konzentriere dich nur auf meine Stimme, dann wird alles gut. Und nicht einschlafen-, gut gemacht.«
Joshi, genau. Es war Joshi. Er war das Erste, was ich nach dem reinsten Nichts wieder sehen konnte. Wenn ich aufwachte, war er schon immer da gewesen? Meine wiederkehrenden Sinne sagten mir, dass er wirklich bei mir war. Im hier und jetzt war er da, und ich war da. Ich glaube, ich saß auf etwas. Oder lag ich? So genau konnte ich das nicht definieren. Aber ich spürte eine Wärme in meinem Gesicht, die jedoch anders war als die, die ich zuvor gespürt hatte. Sie schnürte mir nicht mehr die Kehle zu, und ich bekam wieder Luft.
»Sehr gut. Siehst du? Alles wird gut. Dir geht es gut. Jean, kannst du mich hören? Sag etwas.«
Ich machte den Mund auf, aber kein einziger Laut kam über meine Lippen. Meine Zunge fühlte sich schwer an. Sehr schwer.
»Preist die Götter, du verstehst mich. Das ist sehr gut, sehr sehr gut. Ein Glück.«, die Wärme in meinem Gesicht wanderte etwas, aber nie zu weit vom Ausgangspunkt entfernt. Langsam dämmerte mir, was das war. Joshi hatte mit beiden Händen mein Gesicht umfasst, damit ich ihn ansah. Daher hatte ich nur ihn sehen können.
»Bitte, jage mir nie wieder so eine Angst ein. Hörst du? Nie wieder.«, sprach er und ich nickte leicht, was ein Zeichen dafür war, dass ich wieder Gewalt über meinen Körper erlangte. Ich konnte auch meine Hand heben, zumindest etwas.
»Gott sei Dank...«, murmelte er, bis es kaum noch verständlich war, und er lehnte dabei seine Stirn an meine.
»Versprichst du mir etwas, liebste Jean? Bitte, sobald du bescheid weißt, verabscheue mich nicht dafür. Ich hatte keine Wahl.«, und bevor ich überhaupt fragen konnte, was er damit meinte, wurde ich von einer Müdigkeit erdrückt die mich direkt wieder mit riss in das Reich des Nichts, aus welchem ich doch eben erst entkommen war.

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