Take 19

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Grace'Pov.

>> Wie lange hast du noch zu leben? <<, fragte ich, als wäre es das normalste der Welt, während ich meinen heißen Starbucks-Kaffee umrührte.

Mein Vater, welcher mir gegenüber saß schenkte seinem Getränk nur einen lustlosen Blick und seufzte >> Zwei bis drei Wochen höchstens. <<

>> Und da kommst du erst jetzt zu mir?! <<

>> Ich hatte Angst, Grace, weil ich wusste wie du reagieren würdest. Ich habe einen gewissen Hass gegen mich selbst entwickelt und ich wusste einfach, dass du mich genauso hassen musstest. <<

>> Wie willst du wissen wie ich reagiere, wenn du mich kaum kennst, weil du mich vor mehr als zehn Jahren verlassen hast. Du kennst mich doch kaum! <<

Er atmete tief ein und aus, als würden ihm die nächsten Worte sehr schwer fallen >> Glaubst du etwa, ich bin gegangen, weil ich euch nicht geliebt habe? <<

Ich verschränkt meine Arme >> Ja, das glaube ich. <<

Diese Worte verletzten ihn und ich konnte es ihm deutlich von den Augen ablesen.

>> Ich habe euch verlassen genau weil ich euch liebe! <<

Erschrocken über seinen anklagenden und zugleich sanften Ton, zog ich eine Augenbraue hoch und starrte ihn verwirrt an.

>> Als ich euch verließ, hatte ich gerade meine Diagnose erhalten. Ich litt und leide noch immer an Krebs. Ich wollte euch nicht damit belasten, als ich erfuhr, dass diese Art unheilbar war. Ich würde auf ewig darunter leiden. In dem Gewissen euch im Stich gelassen zu haben begann ich mit der Strahlentherapie. Es ist scheußlich. In den ersten Wochen habe ich mich verkrochen und niemanden an mich rangelassen. Ich war dauernd erschöpft und schlecht gelaunt. Irgendwann wurden meine Werte besser und man schöpfte Hoffnung. Doch es wurde nicht besser, im Gegenteil, es verschlimmerte sich. Ich wurde geplagt von rasenden Kopfschmerzen, mehr denn je, trotzdem machte ich alle möglichen Therapien, die ich finden konnte. Verdammte 10 Jahre lang, Grace. Verdammte zehn Jahre die ich gelitten habe, in denen ich euch so vermisst habe. Vor drei Monaten habe ich meine Medikamente, sowie die Therapien alle abgesetzt. Ich habe aufgegeben um dich noch ein letztes Mal zu sehen, Mäuschen. <<

Während er gesprochen hatte, hatten sich meine Trauer und meine Wut, die ich all die Jahre lang gegen ihn gehegt hatte, angestaut und ich war kurz davor zu explodieren.

>> Es tut mir leid. <<

Diese harmlosen Worte brachten das Fass zum Überlaufen und augenblicklich ließ ich alles liegen und stehen und rannte aus dem Laden heraus, hinaus auf die offene Straße.

Die ersten Tränen lösten sich und flossen wie Sturzbäche über mein Gesicht. Ich konnte den salzigen Geschmack der Tränen auf meiner Zunge schmecken und mir wurde übel.

Ich war nicht weit gekommen, als ich einfach heulend zusammenbrach.

Hinter mir konnte ich eindeutig die Schritte meines Vaters vernehmen und kurz darauf fühlte ich wie zwei starke Arme meinen gebrechlichen Körper umschlossen und mich das Gefühl von Zuneigung und Geborgenheit erfasste.

Plötzlich wurde es um uns herum laut und ein Blitzlichtgewitter ging los.

Noch immer weinend und leicht verstört vergrub ich mein Gesicht im weißen Hemd meines Vaters und machte es mit meinen unzähligen Tränen feucht, doch meinen Vater störte es nicht.

Ihm waren die Paparazzi um uns herum egal, ihm war egal, dass ich sein unheimlich teures Hemd vollheulte, ihm war egal, dass wir mitten auf dem Bürgersteig im Dreck hockten. In diesem Moment war ihm alles egal, er war einfach nur froh mich im Arm halten zu dürfen.

Nach ein paar Minuten löste er sich von mir, legte mir sein Jackett über und machte uns einen Weg durch die Menge frei.

>> Schnell <<, flüsterte er, ehe er mich packte und wir losrannten und die Paparazzi uns hinterher.

Sofort nahmen wir Kurs auf seinen dunkelgrauen Mercedes-Benz SL, rissen die Autotüren auf und ließen uns auf die Sitze plumpsen.

Die Fotografen waren uns bis hierher gefolgt und belagerten nun das Auto, so, dass wir nicht wegfahren konnten. Doch Dad startete mit einem gleichgültigen Blick den Motor und stieg auf das Gaspedal, jedoch so, dass nur ein bedrohliches Knurren ertönte und wir uns nicht vom Fleck rührten.

Erschrocken wichen einige Leute zurück und sofort machten wir uns vom Acker.

Als wir schließlich sicher waren, dass wir sie abgehängt hatten, atmeten wir gleichzeitig erleichtert aus.

***

>> Was für ein Abenteuer <<, lachte mein Vater, während er an seiner Zigarette zog und eine weiße Wolke aus seinem Mund ausstieß.

Ich zog meine weiße Strickweste ein bisschen enger um mich, denn hier am Balkon war es etwas frisch.

Ich erwiderte sein Lachen und beobachtete wie die Sonne schon langsam am Horizont verschwand >> Gibst du mir auch eine Kippe? <<

Mein Vater schenkte mir einen überraschten Blick, drückte mir jedoch eine Zigarette, sowie ein Feuerzeug in die Hand.

Während ich sie ungeschickt anzündete fragte der Mann neben mir überrascht >> Du rauchst? <<

Ich nahm einen Zug und konnte das Husten noch gerade so unterdrücken >> Eigentlich nicht mehr. Ich hatte mit 16 mal eine rebellische Fase und wir wissen beide wie sehr Erin es hasste, wenn man vor ihrer Nase geraucht hat. Aber weißt du, ich will eine letzte Zigarette mit meinem Vater rauchen. <<

Nickend atmete mein Vater aus und musterte mich besorgt von der Seite >> Du bist sehr dünn geworden. <<

Ich blickte an mir hinab. Es stimmte.

Als ich kleiner war, war ich immer ziemlich pummelig, jetzt war ich so normal halt.

>> Isst du denn genug? <<, fragte er und ich schaute ihn mit meinem Ist-das-dein-Ernst-Blick an.

Unschuldig riss er die Hände hoch >> Jetzt schau mich nicht so an, du bist wirklich sehr schmal. <<

Ehrlicher Weise kann ich mich gar nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal etwas gegessen hatte.

Ich zog ein letztes Mal an der Kippe, spürte wie sich meine Lungen mit Nikotin füllten und atmete es wieder aus. Der weiße Rauch flog über unseren Köpfen davon und ich machte die Zigarette ,in einem zufälliger Weise am Balkon stehenden Aschenbecher, aus.

Mein Vater tat es mir gleich und fröstelnd verließen wir den Balkon.

>> Studierst du eigentlich, oder arbeitest du schon? <<, fragte er plötzlich als wir uns auf die Barhocker an der Minitheke die, die Küche vom Wohnzimmer trennte, niederließen.

>> Ich studiere Psychologie. <<

Nachdenklich musterte er mich >> Hätte ich nicht gedacht, wenn ich dich so ansehe. <<

Wenn er bloß wüsste wie oft ich diesen Spruch hörte.

Eine peinliche Stille breitete sich aus, bis er sich plötzlich lautstark räusperte >> Warum hast du versucht dich heute Morgen zu ertränken? <<

>> Ich weiß es nicht. <<

>> Grace, es gibt für alles einen Grund. <<

Ich seufzte >> Dad, sei mir nicht böse, aber du bist der Letzte mit dem ich darüber reden will. <<

Er nickte verstehend, dennoch war er ein bisschen beleidigt >> Du musst es mir nicht sagen, solange du es nicht wieder versuchst. <<

>> Ich verspreche es <<, sagte ich und legte mir dabei gespielt die Hand aufs Herz und tat so als ob ich es schwören würde, wie in solchen Indianerfilmen.

>> Indianerehrenwort? <<

>> Indianerehrenwort <<, kicherte ich und war froh den Mann, den ich so lange gehasst hatte, wieder bei mir zu haben, selbst wenn das nicht lange andauern würde.


Das Leben ist kein Film ✔ |H.S.|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt