Schattenläufer

5 2 0
                                    

Er spürte die leise Berührung und nun war es an ihm, zu vergeben.

"Ich weiß! Auch mir tut es leid und ich gäbe viel dafür, unseren Streit ungeschehen zu machen. Ich hätte spüren müssen, dass Du keine Fremden magst und meiner Wege gehen. So vergib auch du mir, Tamuriel". Er wandte den Kopf und ihre Blicke trafen sich. Die Elfe schloss die Augen und atmete hörbar aus. Dann nickte sie.

„Ihr konntet es nicht wissen, Jäger. Meine Reaktion war ungebührlich und unhöflich. Vergebt mir, doch manchmal bin ich etwas überreizt, so wie auch gerade eben". Sie senkte den Kopf und schwieg verschämt. „So soll es sein", brummte Eneas. „Vergeben und vergessen". Sacht nahm er ihr das Horn und die Klauen aus den Händen.

"Sind das wirklich die Überreste eines Schattenläufers? Noch nie hat man einen gesehen und nur die Legenden berichten von diesen grauenvollen Bestien. Habt Ihr dieses Ungeheuer wirklich gesehen und erlegt? "Man kann es töten, kleine Elfe, man kann. Doch eins nach dem anderen". Er wandte den Blick zu Atalanta.

"Habt Ihr noch von dem Kräutersud, gute Frau? Mir scheint es wird eine etwas längere Geschichte und ich sehe keinen Grund mehr, sie Euch vorzuenthalten, jetzt, wo die Legende der Wahrheit weichen musste". Er maß Tamuriel mit einem hintergründigen Blick und sie schlug beschämt die Augen nieder.

"Doch würde ich vorher gern meine Kehle etwas anfeuchten".

Erstaunt bemerkte er, wie die Elfe sich bequem zurück lehnte und eine erwartungsvolle Haltung einnahm, während sein Becher wieder gefüllt wurde. Es war die gleiche Haltung, in der auch Talimee einst stets verharrte, wenn der Jäger ihr von seinen Abenteuern erzählt hatte und ein wehmütiger Schmerz durchfuhr sein Herz. Tamuriel schien etwas zu spüren, denn sie maß ihn mit einem fragenden Blick. Doch sie schwieg. Eneas wartete, bis auch Atalanta sich einen Platz gesucht hatte. Zwei neugierige Augenpaare hingen gebannt an seinen Lippen, als er zu erzählen begann:

Mit einem wütenden Gebrüll sprang das Tier auf. Der Jäger erstarrte und für einen winzigen Moment gefror das Blut in seinen Adern. Nie zuvor hatte er ein solches Wesen erblickt. Es war, als trieben die Götter einen Schabernack mit ihm. Sicher, er kannte die Wollnashörner der kaltenHochebenen als auch die Büffel aus den weiten Steppen des Graslandes, doch was dort wutschnaubend auf ihn zukam,  schien von keinem etwas und doch von allem ein wenig zu sein. Kurzes, stoppeliges und seltsam gefärbtes Fell bedeckte das Tier. Vier stämmige Beine mit scharfen, langen Klauen zertrampelten das Gras auf seinem Weg. Der massive Kopf der Kreatur war tief zum Boden geneigt Aus seinem Maule ragten zwei gefährliche Hauer und seine Augen waren groß und blutunterlaufen. Jedoch das Horn, welches dasTier auf seiner Nase trug, war es, was dem Jäger Furcht einflößte.

Ähnlich gewundene und todbringende Hörner trugen nur Karene, die Antilopen des Graslandes. Und dieses Untier raste nun wutschnaubend auf ihn zu, seinem Leben ein Ende zubereiten.

Eneas hatte keine Zeit, nachzudenken, denn dieses schnaubende Ungeheuer näherte sich in beachtlichem Tempo. Schon spürte er den heißen Atem des Wesens und nur ein beherzter Sprung rettete ihn davor, zertrampelt oder aufgespießt zu werden.  Wütend und enttäuscht brüllte das Tier auf.

Eneas überlegte fieberhaft und suchte nach einem Ausweg. Seine Blicke irrten umher,doch er war umgeben von dichtem Buschwerk, das zwar für ihn, jedoch sicher nicht für dieses Wesen ein Hindernis darstellte. Der einzige Fluchtweg wurde ihm gerade von dem angreifenden Untier versperrt. Für einen gezielten Schuss mit dem Bogen bleib auch keine Zeit. Daher warf er ihn von sich und zog entschlossen das lange Jagdmesser,welches er einst von einem Elfen bekommen hatte. Er fixierte das tobende Ungeheuer. „Du oder Ich, nur einer wird diesen Platz lebend verlassen", flüsterte er leise.

Derweil hatte die schnaubende Bestie gewendet und stürmte erneut heran. Es blieb keine Zeit mehr, auszuweichen. Eneas spannte alle Muskeln an und sprang,  gerade, als das Tier mit einem Ruck den Kopf hob, sein vermeintliches Opfer auf das tödliche Horn zu spießen. Doch der Jäger war um den Bruchteil eines Augenblickes schneller. Kraftvoll stieß er sich vom Boden ab und flog über den Kopf des Monsters hinweg. Noch im Flug senkte er das scharfe Messer tief in das Auge des Tieres und hörte den klagenden Schrei der Bestie. Schwer schlug der Körper des Jägers auf den Waldboden auf und trieb ihm die Luft aus den Lungen. Bunte Kreise flimmerten vor seinen Augen und seine Sinne trübten sich für einen Moment.


Doch der Wille des Mannes zu leben, war stärker als die beginnende Dunkelheit, die ihn zu umarmen drohte. Nun spürte er auch den schneidenden Schmerz in seinem Oberarm und schrie gepeinigt auf. Eneas merkte, wie Etwas warm an seinem Arm hinab rann und seine Finger schienen ihm mit einem Male nicht mehr zu gehorchen.

„Die Bestie" durchfuhr es ihn. Den wahnsinnigen Schmerz missachtend, der seinen rechten Arm taub und gefühllos machte, kam er wieder auf die Beine. Er sah das Tier, welches in einiger Entfernung ruhig dazustehen schien. Es hatte sich nicht wieder umgewandt, um ihn erneut zu attackieren. Fast reglosstand es dort. Nur ein leichtes Zittern lief über seinen Leib,während es schnaubend den Kopf schüttelte, als wolle es ein lästiges Insekt verjagen.

Dann, mit einem Male, knickten ihm die Vorderläufe ein und es rammte die gefährlichen Hauer in den weichen Boden. Vergeblich versuchte es, wieder aufzustehen, doch auch die Hinterbeine konnten das Gewicht des Körpers nicht mehr tragen und das Monster fiel erst auf den Bauch und kippte dann zur Seite. Nun konnte Eneas sehen, dass seinJagdmesser bis zum Heft im Auge des Tieres steckte.

Stöhnend und schnaubend versuchte es, sich wieder aufzurichten, doch es war vergeblich. Das Tier brach wieder zusammen und blieb schwer atmend liegen. Das Zittern, welches über seine Flanken lief, verstärkte sich und wie jedes Mal, wenn er ein Lebewesen sterben sah, überkam den Jäger eine Welle von Mitleid. Ungeachtet der höllischenSchmerzen in seinem Arm trat er einige Schritte näher und sah zu, wie die Kreatur, welche kurz zuvor noch seinen Tod gewollt hatte, nun zu seinen Füßen verendete. Erst als ihm gewahr wurde, dass keine Gefahr mehr drohte, besah er sich seinen Arm. Das Horn hatte eine lange und tiefe Wunde gerissen, die stark blutete. Des Jägers  Augenschweiften umher und noch während das Tier im Todeskampf seine letzten Atemzüge tat, hatte Eneas die Wunde abgebunden und mit Baumrinde und einigen Blättern notdürftig versorgt, so wie er es einst beim schönen Volk gelernt hatte.

Erst viel, viel später erfuhr er, welches Tier er dort im Wald getötet hatte. Einige Erzschürfer,die er auf seiner Reise traf waren respektvoll vor ihm zurückgewichen. Ehrfurchtsvoll verneigte man sich vor dem Mann, der einen Schattenläufer besiegt hatte.



Tara's TräneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt