Die Jahreszeit war eine andere geworden. Langsam begann sich das Laub der Bäume einzufärben. Der Jäger genoss die Einsamkeit der Wildnis. Und nur gelegentlich suchte er größere Ansiedlungen auf, um seine Felle zu verkaufen und sich mit Proviant einzudecken. In einem kleinen Dorf hatte er mehrere Tage verweilen müssen, um eine Wunde zu kurieren, die er sich bei einem Scharmützel mit einer Horde Wölfe zugezogen hatte. Doch schon bald, nachdem er seine Kleidung ausgebessert und sich sein Körper etwas erholt hatte, zog es ihn wieder hinaus.
Die Sonne stand hoch am Himmel und Eneas war schon ein gutes Stück gewandert. Er hatte einen ausgefahrenen Weg gefunden, auf dem es sich recht gut vorankommen ließ. Sein Kopf war frei und er erfreute sich an der Schönheit der Natur. Schon vor einiger Zeit hatte er seinen Mantel abgelegt und zu einer Rolle gebunden, die er sich über den Rücken hängte. Der Weg zeigte tiefe Karrenspuren, ein Zeichen dafür, dass er viel genutzt wurde. Der Jäger schritt kräftig aus denn er wollte so viele Meilen wie möglich hinter sich bringen. In der Ferne gewahrte er ein großes Waldstück. Prüfend blickte er zum Himmel und schätzte ab, wie lange er bis dorthin noch brauchen würde. Alsdann legte er noch einen Schritt zu, denn er wollte das Gehölz noch vor Sonnenuntergang erreichen, um dort bis zum Anbruch des nächsten Tages eine Rast einzulegen.
Glutrot versank dieSonne, als er die ersten Ausläufer erreichte. Sorgsam blickte Eneas sich um, nach einer Stelle, die für ein Nachtlager geeignet wäre. Dabei scheuchte er einen Hasen aus seiner Sasse auf. Mit einem quietschenden Laut verendete das Tier, von seinem Pfeil durchbohrt. Schnell war ein Feuer entzündet und das Tier ausgeweidet. Er genoss den herb-würzigen Duft, den das garende Fleisch verströmte und konnte es kaum erwarten, den leckeren Braten zu genießen. Mit Heißhunger machte er sich über darüber her.
Satt lehnte sich Eneas an einen Baum und dachte wieder einmal mit einem leichten Anflug von Wehmut an Tamuriel und Atalanta. Er fragte sich, wie es dem ungleichen Paar inzwischen ergangen sein mochte. Und vor seinem inneren Auge erstand noch einmal das Bild der Elfe - schlank,grazil und von einer bezaubernden Weiblichkeit. Er verglich sie in Gedanken mit der Zwergin und dann mit der rothaarigen Kräuterfrau. Plötzlich fiel ihm deren letzter Satz wieder ein. Nein, er war des Jagens noch nicht müde, jedoch war diese Art der Jagd eine Andere.
Er musste wohl eingeschlafen sein, denn als er jäh erwachte war das Feuer fast herunter gebrannt. Etwas hatte ihn geweckt. Und jetzt hörte er es wieder. Da schrie jemand! Nun vernahm er auch das dumpfe Klirren von Waffen, die aufeinander schlugen. Dazwischen immer wieder die spitzen Schreie einer Frau. Blitzschnell hatte er seinen Bogen gefasst, warf sich den Pfeilköcher über dieSchulter und lief eilig, jedoch mit Vorsicht, in die Richtung,aus der er den Lärm vernahm. Er stolperte über eine Wurzel, missachtete jedoch den Schmerz, als er jäh strauchelte und sich das Knie aufschlug. Die angstvollen Schreie trieben ihn voran.
Zwischen den Bäumen sah er das Licht eines Lagerfeuers schimmern. Von dort kam auch der Kampflärm. Deckung suchend lief er näher und gewahrte als erstes einen hölzernen Karren, der umgeworfen war. Allerlei Zeug lag auf dem Waldboden verstreut, doch seine Augen waren damit beschäftigt die Ursache der Schreie zu erspähen. Bedacht darauf nicht entdeckt zu werden richtete er sich hinter dem Stamm einer Ulme auf und konnte so den Platz überblicken. Ein Schaudern überkam ihn. Zum Schutz mit dem Rücken gegen den Stamm eines Baumes gepresst versuchte ein alter, jedoch ungeheuer muskulöser Mann, sich seiner Feinde mittels eines Zweihandschwertes zu erwehren, dass er fest mit beiden Händen umschlossen hielt.
Doch er blutete bereits aus unzähligen Wunden und Eneas sah auch, dass der Alte wohl nicht mehr lange durchhalten würde. Ohne zu Zögern legte er an. Erzählte allein drei Angreifer, die auf den Mann einstürmten. Die Schreie einer Frau klangen irgendwo hinter dem Alten auf, doch die Kämpfenden verwehrten Eneas die Sicht. Er entschloss sich, nicht länger zu zögern.

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Tara's Träne
FantasyDie Träne der Göttin Tara ist ein magisches Artefakt und unschätzbar wertvoll für jene, welche die Macht des Steines kennen und zu nutzen wissen. Der Jäger Eneas vom Schattenbach wird durch einen tragischen Unglücksfall zum Hüter dieses Kleinodes. Z...