Feuerengel

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Lange noch behielt der Jäger das Bild Jenn's im Gedächtnis, während ihn seine Wege und Abenteuer quer durch das weite Land führten. Es wurde merklich kälter und über die Berge wehten die ersten Vorboten des nahenden Winters. Einsam war es geworden, so ohne die junge Frau an seiner Seite, jedoch hatte Eneas dieses Leben schon vorher geführt und war daran gewöhnt wochenlang keine lebende Seele zu erblicken. Eine Zeitlang saß er noch abends am Feuer und starrte nachdenklich in die Flammen. Er dachte zurück an die Zeit, die er zusammen mit Jenn verbracht hatte. Und gelegentlich fühlte er eine starke Sehnsucht nach ihr und ihrer Zuneigung. Doch die Tage vergingen und so verblasste auch dieses Bild, bis er sich eines Tages vergeblich mühte, ihr Antlitz vor seinem inneren Auge erstehen zu lassen.

Eines Morgens erwachte er frierend und sah, dass es über Nacht geschneit hatte. Der Winter hatte das Land mit einem schmutzig-weißen Tuch überzogen.Es war die Zeit, in der der Jäger wenig Mühe hatte, seine Beute zu verfolgen. Es war auch die Zeit, in der die Tiere ein dichtes Haarkleid als Schutz vor der schneidenden Kälte trugen. Jedes dieser Felle war nun mehr wert als noch im Sommer. Bald schon war die Geldkatze an seinem Gürtel prall und schwer und Eneas dachte darüber nach, eine Zeitlang in einer der vielen kleineren Städte Quartier zu beziehen. Er war nicht darauf erpicht, großen Reichtum anzuhäufen. Viel lieber waren ihm die endlosen Weiten und die Freiheit in der Natur. Doch er hatte nun genug Geld beisammen, um es einige Zeit an einem Ort aushalten zu können.  Schon bald hatte er einen ausgefahrenen Karrenweg entdeckt, an dessen Ende ihn sicherlich eine größere Siedlung erwarten würde. Jedoch bemerkte er auch, dass schon seit geraumer Zeit diese Straße nicht mehr genutzt wurde, denn der Schnee lag unberührt vor ihm und auf dem Pfad.

Eneas schritt kräftiger aus, denn es erhob sich ein eisiger Wind, der winzige Eiskristalle mit sich führte, die wie winzige Nadeln auf seiner Haut schmerzten. Im Stillen hoffte er, der Weg möge ihn bald zu einem Gasthaus führen. Die Bäume und Sträucher links und rechts hatten schon lange ihr Laub abgeworfen und nun ragten die dürren, nacktenZweige wie mahnende Finger in die Höhe. Irgendwann signalisierten ihm seine Sinne eine unbekannte Gefahr. Es dauerte eine geraume Weile, bis er sich bewusst wurde, dass es der fehlende Schmerz auf seiner Haut war. Die Eiskristalle hatten sich in winzige Wassertröpfchen verwandelt. Eneas glaubte zu spüren, dass es merklich wärmer geworden war. Auch der Schnee auf der Erde wich zurück und das Laub des letzten Herbstes sowie verdorrtes Gras kamen wieder zum Vorschein.

Der Pfad bog um eine größere Felsformation. Als Eneas sie gerade passiert hatte, gewahrte er in einiger Entfernung ein niedriges Steinplateau. Eigentlich war nichts Besonderes an diesem Anblick, wäre dort nicht etwas gewesen, das seine Aufmerksamkeit erregte. Unwillkürlich verlangsamte er seine Schritte und seine Hand glitt vorsichtig zum Schwertgriff. Seine Augen erblickten Etwas, dass er kaum deuten konnte. Auf dem Stein lag oder hockte etwas Unförmiges, dass von einem schwachen, rötlichen Schein umgeben war. Langsam und vorsichtig schlich er sich näher. Bald konnte er Einzelheiten erkennen. Es war tatsächlich ein Wesen, was dort saß, einem großen Vogel gleich, mit angelegten, dunkelroten Schwingen, die es eng an den Körper gepresst hatte. Den Kopf hatte es darunter verborgen. Noch nie zuvor hatte der Jäger ein derartigesGeschöpf erblickt. Neugierig trat er näher.

Plötzlich kam Bewegung in die kauernde Gestalt. Die Flügel breiteten sich aus und das Wesen hob sein Haupt. Eneas erstaunte, denn was er dort sah, war das Antlitz eines Mädchens oder einer jungen Frau. Feuerrotes, langes Haar fiel weit über die Schultern und die Spitzen berührten den nackten Stein. Fast noch hatte das Wesen die Züge eines Kindes und er fasste Vertrauen, einen weiteren Schritt auf die Gestalt zuzugehen. "Halt, Fremder", tönte es plötzlich und das Wesen erhob sich.

Unter den Schwingen kam ein schlanker Körper mit den Ansätzen weiblicher Formen zum Vorschein. Seine Haut glänzte in einem satten Kupferton, als es sich ihm zu wandte. Eneas konnte nicht umhin, das zarte Gesicht zu bewundern. Sanft geschwungene Brauen erhoben sich über den schrägstehenden, jedoch geschlossenen Augen. Volle Lippen und eine winzige Nase gaben dem Gesicht eine bezaubernde Anmut. Immer noch hatte es die Augen geschlossen, doch es sprach ihn an: "Du bewegst Dich auf meinem Gebiet. Entweder bist Du besonders mutig oder besonders dumm... Was suchst Du hier"?

Tara's TräneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt