Der Sommer war heiß. Eneas hatte keine Erinnerung daran, jemals eine solch warme Jahreszeit erlebt zu haben. Unbarmherzig brannte die Sonne hernieder und das Land stöhnte unter der Hitze. Auf denFeldern verdorrte das Korn und die Tiere in den Ställen, sowie auch die Menschen in den Dörfern und Städten litten große Not. Allerorts brachten die Bauern Opfergaben dar und beteten zu den Göttern, es möge bald regnen. Doch Randa, die Göttin des Sommers,des Krieges und der Jagd schien kein Einsehen zu haben. Flüsse und kleinere Seen trockneten aus und selbst das Wild zog sich tief in die Wälder zurück, zum Schutz vor der sengenden Glut zu suchen. Schon lange hatte der Jäger Nichts mehr erlegt und derHunger nagte in seinen Eingeweiden. Zum Glück hatte er irgendwann einen breiten Flusslauf gefunden, der eigentümlicherweise noch genug Wasser führte, so dass ihn der Durst nicht allzu sehr plagte. In seiner Nähe strich er rastlos auf und ab, hoffend, irgendwann einmal ein Tier zu erlegen, das zum Trinken an den Fluss kommen würde. Doch sein Erfolg blieb mäßig, denn auch Raubtiere trieben sich herum und machten ihm die Beute streitig. Er war scheu geworden. Die Trennungen in seinem Leben hatte ihn verändert und die Letzte, von Ishilea, sogar zum Eremiten gewandelt. So hatte er sich geschworen, künftig menschliche Siedlungen zu meiden und sein Leben allein in der Wildnis zu verbringen. Jedoch abends am Feuer, wenn er grübelnd in die Flammen starrte, überkam ihn die Wehmut. Er dachte an all die Personen, die irgendwann in sein Leben getreten und wieder gegangen waren. Sie hatten bleibende Spuren hinterlassen. Tiefe Sehnsucht übermannte ihn, doch er schob sie mit einem Kopfschütteln beiseite. Insgeheim schwor Eneas sich, niemals wieder Jemandem zu vertrauen oder ihm gar Liebe entgegen zu bringen. So wurde er zu einem Eigenbrötler, der sich scheute, die Gegenwart Seinesgleichen zu suchen. Nur manchmal beobachtete er aus großer Entfernung das Treiben in den vielen kleinen Dörfern, die weit über das Land verstreut waren. Eneas hatte Angst. Angst vor einem Schicksal, welches ein kleines Mädchen ihm einst prophezeit hatte und von dem er nicht einmal wusste, was es ihm bringen würde. Längst war dessen Gesicht aus seinem Gedächtnis verschwunden und nur ihr dunkelblondesHaar und der Name, den ihr ein Halb-Elf einst gegeben hatte, waren noch in seiner Erinnerung. „Mallen Finnel".
Ein brummender Ton aus seinen Eingeweiden erinnerte ihn daran, dass er unerträglichen Hunger hatte. Er musste unbedingt essen, denn sein Vorrat an Wurzeln, Kräutern und getrockneten Beeren war restlos aufgebraucht. Als der Jäger sich erhob, schwindelte ihm ein wenig und er musste sich am Stamm eines Baumes festhalten, um nicht der Länge nach hinzustürzen. Mit Erschrecken wurde ihm bewusst, wie erschöpft er eigentlich war.
„Soll dies mein Schicksal sein, kleine Mallen Finnel", murmelte er halblaut. „Mutterseelen allein in der Wildnis zu verhungern? Du hättest es mir ruhig sagen können. Seit Talimee's Ende fürchte ich den Tod nicht mehr. Nein, ich wäre sogar froh darüber, wenn mich das Schattenpferd endlich holen käme und mich auf seinem Rücken in das eisige Reich des Gottes Loth brächte".
Leicht schüttelte er den Kopf und der Schwindel verflog langsam. Und doch war der Jäger arg geschwächt. Wankend schlug er den Weg zum Fluss ein, um wenigstens etwas zu trinken. Seine Ausrüstung ließ er zurück. Nur den Bogen und den Pfeilköcher nahm er mit. Je näher er dem Ufer kam umso vorsichtiger wurde er. Es war der Instinkt desJägers, der ihn dazu trieb. Vielleicht hatte er ja heute etwas Glück und ein durstiges Tier verirrte sich hierher. Inzwischen war er sogar gewillt auch ein Raubtier zu töten, nur, um nicht Hungers zu sterben. Langsam und vorsichtig schritt er weiter, sorgsam darauf bedacht, jedes unnötige Geräusch zu vermeiden. Seine Ohren waren noch sehr gut und schon bald konnte er das leise Plätschern des Wassers vernehmen. Doch noch ein anderer Laut ließ ihn aufmerksam werden. Es war, als schrie dort ein Tier in Todesnot. Das Herz klopfte Eneas bis zum Hals. Sollte er endlich Beute machen? Oder warer schon so ausgehungert, dass ihm seine Sinne einen Streich spielten? Der Jäger blieb stehen und lauschte. Doch das Schreien blieb. Es hörte sich an als gäbe dort ein junger Luchs oder ein anderes katzenartiges Tier Geräusche von sich.
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Tara's Träne
FantasyDie Träne der Göttin Tara ist ein magisches Artefakt und unschätzbar wertvoll für jene, welche die Macht des Steines kennen und zu nutzen wissen. Der Jäger Eneas vom Schattenbach wird durch einen tragischen Unglücksfall zum Hüter dieses Kleinodes. Z...