Abschied von Jenny

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Am anderen Tag entdeckten sie einen kleinen Wasserfall, der in einen See mündete. Jenn stand verzaubert am Ufer und musste fast schreien, um das Tosen zu übertönen. „Es ist wunderbar hier! Ich habe noch nie so etwas Schönes gesehen"!

Brausend rauschte das Wasser hinab und Milliarden von winzigen Tropfen schufen einen glitzernden Vorhang, in dem sich das Sonnenlicht in bunten Farben widerspiegelte. Der Wind trieb einen Schleier feiner Gischt zu ihnen herüber, der wohltuend ihre Haut kühlte. Schnell ergriff Jenn seine Hand und zog ihn zum Wasser. Doch Eneas protestierte. „Weißt Du, wie lange es dauert, bis unsere Gewänder wieder trocken sind"?  Jenn stutzte, überlegte einen Moment und zog sich blitzschnell ihr Wams und den Lendenschurz aus. Splitterfasernackt stand sie vor dem Jäger und seine Blicke glitten über ihren Körper. „Und jetzt"? lächelte sie verschmitzt.  „Oder scheut Ihr gar das nasse Element, Eneas vom Schattenbach"?

Sie drehte sich um und lief leichtfüßig ins Wasser. Mit den Händen schöpfte sie das erfrischende Nass und warf es nach dem Jäger. „Warte, das zahle ich Dir heim"! Schnell hatte sich auch Eneas seiner Kleider entledigt und lief auf sie zu. Jenn sprang mit einem leisen Schrei zurück, verlor das Gleichgewicht und stürzte rücklings ins Wasser. Doch schon war Eneas neben ihr und griff nach ihrem Arm. Prustend kam sie wieder hoch und strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Dabei lachte sie auf. „Lass uns zum anderen Ufer schwimmen", lockte sie ihn und warf sich in die Fluten. Sie schwamm mit kräftigen Stößen durch das Wasser.  Eneas hatte Mühe aufzuschließen.

Drüben angekommen stieg sie aus dem Wasser und setzte sich erschöpft ins Gras. Sie wartete auf den Jäger. Endlich hatte auch Eneas es geschafft und ließ sich schwer atmend neben ihr nieder „Meine Verehrung, junge Dame! Ihr gebt eine sehr gute Nixe ab", stieß er keuchend hervor. „Habt Dank, edler Herr, für diese Freundlichkeit! Euer Lob ehrt mich außerordentlich"!

Eine Weile schwiegen beide und schauten auf den See hinaus.

„Eneas"?  „Ja"? „Tut es Dir leid,was gestern Nacht geschehen ist"? Sie sah ihn fragend an.

Er überlegte. „Ich weiß es nicht! Nein, ich denke nicht, dass es mir leid tut"!  „Es ist nur, weil..." Eneas legte ihr einen Finger auf die Lippen. „Bitte sprich nicht weiter! Was geschehen ist, ist geschehen. Nichts kann daran etwas ändern. Was bleibt, ist die Erinnerung. Sie kann süß oder bitter sein". Er ließ sich rücklings fallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, während seine Augen durch das Gewirr der Zweige den Himmel suchten. Nachdenklich saß Jenn neben ihm, die Beine an den Körper gezogen. Sie hatte ihre Arme darum gelegt und schaute dem Tosen des Wasserfalles zu. „Aber ich wollte doch..."! „Jenny, bitte"!

Eneas richtete sich auf und sah sie von der Seite an. Leicht schüttelte er den Kopf und zeichnete mit dem Finger die Bahn eines Wassertropfens nach, der ihren nackten Arm hinab rann. „Ich bereue nicht, was ich getan habe, selbst, wenn ich es nicht gewollt hätte! Nein,es tut mir nicht leid"!

„Danke".  Sie beugte sich zu ihm und hauchte einen Kuss auf seine Schulter.  Nachdenklich blickte sie anschließend lange Zeit auf das Wasser.  Leise, mehr zu sich selbst, sprach sie: „Ich werde diese Nacht niemals mehr  vergessen. Du hast mir eine völlig neue Welt gezeigt und nun weiß ich, was es heißt, eine Frau zu sein"!  Jenn wandte den Kopf und sah ihn an. „Deine Frau, Eneas"...

Der Jäger wollte protestieren, doch sie legte blitzschnell eine Hand auf seinen Mund und schüttelte den Kopf. „Bitte sag jetzt nichts, Eneas. Lass mir diesen Glauben, bevor es mein Herz zerreißt! Du bist der erste Mann für mich und ich bitte Dich nur um dieses Schweigen. Mehr kann ich von Dir nicht fordern!  Also lass mir, um der Götter Willen, bitte dieses winzige Stück vom Glück"!  Langsam löste sie die Hand wieder, doch ihr Blick blieb so flehend, dass Eneas nur stumm nicken konnte.

Tara's TräneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt