Das Luchsfell

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Es war eine große Stadt, die sie betraten. Der Lärm der Straßen war ungewohnt für sie und tat in den Ohren weh. Staunend betrachtete Jenn das geschäftige Treiben. So viele Menschen hatte sie nie zuvor auf dichtem Raum gesehen. Die Häuser links und rechts der Straße ragten drei und vier Stockwerke empor und waren oftmals bunt bemalt. Auch die Menschen trugen farbenfrohe Kleidung und schienen es alle irgendwie eilig zu haben. Mehrmals wurden sie angerempelt und beschimpft. Nur mit einem beherzten Sprung zur Seite konnten sie sich retten, als ein einspänniger Wagen auf sie zuraste. Die Eindrücke waren überwältigend und tausend Geräusche und Gerüche verwirrten ihren Geist.

Als sie in eine Gasse einbogen kam ihnen ein kleiner Mann entgegen, der sie misstrauisch musterte. "Ihr seid wohl nicht von hier", sprach er sie mit knarrender Stimme an. Seine Erscheinung war ungepflegt. Das Haar hing lang und fettig an seinem Kopf, seine Finger waren so schmutzig wie sein schäbiges Gewand und seine nackten Füße starrten vor Dreck.  Als er den Mund öffnete, konnte man eine Reihe schwarzer Stummel sehen, dort wo sicher einst weiße Zähne gewesen waren. Unwillkürlich drängte sich Jenn näher an Eneas, denn der fremde Mann flößte ihrer Furcht ein. 

„Gut beobachtet, Meister"! Auch dem Jäger war die Erscheinung unsympathisch, doch die Höflichkeit gebot es ihm, zu antworten. Der Kerl hatte flinke, listige Augen, denn während er die Qualität der Felle auf Eneas' Rücken lobte, taxierte er die Gestalt Jenn's und sein gieriger Blick glitt über ihre nackten Beine. „Ein paar schöne Stücke habt Ihr da, Herr! Ich wüsste zufällig jemanden, der sie Euch für einen guten Preis abnehmen würde". Eneas verfolgte die Blicke des Mannes.

„Wenn Ihr die Felle meint, so stimme ich Euch zu! Es ist eine gute Arbeit und ihren Preis wert". Durchdringend sah er den Mann an, der sich ertappt fühlte und verlegen grinste. „Eure Tochter, nehme ich an"? Wie beiläufig legte der Jäger die Hand auf den Knauf seines Schwertes.

„Ihr seid ein helles Köpfchen, will mir scheinen"!  Er lächelte Jenn aufmunternd zu. „Und Ihr habt gut beobachtet. Ja, sie ist meine Tochter und nicht für alles Gold der Welt zu haben". Der Mann lachte keckernd. "Ihr scheint mir ein rechter Spaßvogel zu sein! Natürlich sprach ich von Euren Fellen! Welcher Vater würde denn schon sein eigen Fleisch und Blut verkaufen"? 

„Nun, guter Mann, wenn ich in Eure Augen blicke, so wüsste ich vielleicht jemanden. Jedoch würde es uns schon gereichen, so Ihr uns den Weg zum Marktplatz beschreiben könntet. Es soll Euer Schaden nicht sein"! Eneas drehte ein Silberstück in den Fingern. Dieselben Augen, die ihn gerade noch zornig angefunkelt hatten, bekamen einen gierigen Glanz beim Anblick der Münze. Schnell war sein Zorn verflogen und er zeigte ihnen mit schmutzigen Fingern den Weg. Geschickt fing er die Münze im Flug und sah den beiden noch eine Weile nach. Eneas konnte nicht mehr sehen, dass sich das Gesicht des Mannes vor Wut verzerrte und er die Hände zu Fäusten geballt hatte.

Ein paar Ecken weiter vernahmen sie schon das lärmende Markttreiben und liefen zielgerichtet darauf zu. Sie traten hinaus auf einen großen Platz, in dessen Mitte ein riesiger Obelisk aus schwarzem Basalt stand. Um ihn herum gruppierten sich die notdürftig zusammen gezimmerten Stände und Buden der verschiedensten Händler. Langsam schlenderten Eneas und Jenn an den Auslagen vorbei und betrachteten sich die vielen nützlichen als auch unnützen Sachen, die man zum Verkauf anbot. Eine pausbäckige Frau sprach sie an: „Ihr seid Jäger, wenn mich mein Blick nicht täuscht"? Eneas nickte. Mit der Hand wies die Frau auf einen Stand auf der anderen Seite, steckte die Finger in den Mund und pfiff schrill darauf. Jenn zuckte zusammen und erschrak. Aus dem Stand tauchte ein schwarzer Krauskopf auf und die Frau deutete mit den Fingern wortlos auf Eneas und Jenn. Dann wandte sie sich ihnen wieder zu: „Wenn Ihr gute Felle habt,  geht dort hinüber. Mein Neffe Lucio erwartet Euch schon"! Ein kurzer Blick in die Augen der jungen Frau und sie neigte sich verschwörerisch zu ihr: „Doch nehmt Euch vor ihm in Acht! Er hat eine Schwäche für Schönheiten wie Euch"!  Jenn errötete verlegen.

Tara's TräneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt