Darf ich mit Dir zum Badehaus kommen", fragte Ishilea schüchtern. Eneas fasste sie an der Hand und sagte: "Sicher, meine Liebe! Ich bestehe darauf, dass Du mich begleitest"! Das Mädchen lächelte. „Weißt Du, ich war noch nie in einem Badehaus. Es ist bestimmt aufregend dort. Sag, gehen dort Männer und Frauen gemeinsam baden und ist das Wasser wirklich warm und riecht nach Blüten und Gewürzen, wie man erzählt? Und wie..."?
„Lea", unterbrach er sie.
„Eins nach dem Anderen! Du fragst so viel auf einmal, dass ich Dir unmöglich Alles gleichzeitig beantworten kann". Unbewusst hatte er ihren Kosenamen verwendet. „Verzeih, aber es ist so aufregend"!
Sie senkte den Kopf und trabte neben ihm her. Eneas schaute mitleidig zu ihr herab. Dann fasste er sie wortlos und nahm sie auf den Arm. „Warum machst Du das", wollte sie wissen. „Weißt Du, Kind,ich bin es leid, stets auf Dich herab zu blicken. Doch nun können wir uns in die Augen sehen, wenn wir miteinander reden". Ishilea nickte: „Ja, das ist viel besser. Mein Nacken tut mir auch schon ein wenig weh,weil ich immer nach oben sehen musste. Danke! Du bist wirklich ein Schatz"! Eneas musste lächeln, als er sah, mit welch kindlichem Ernst sie sprach. „Sag, esst ihr wirklich heute Abend Fleisch", wollte sie gleich darauf wissen. „Sicher doch, wenn Margy welches besorgt"!
„Unsere Tante hat niemals Fleisch gemacht. Sie sagt immer, Fleisch wäre schlecht und man würde davon krank werden".
„Sieh mich an, Mädchen, und dann sage mir, ob ich krank aussehe". Ishilea mustere ihn eingehend und lächelte, als sie sagte: „Nein, siehst Du nicht! Aber ein bisschen komisch mit Deinen krisseligen Haaren". Erstaunt fuhr sich der Jäger mit der freien Hand über den Kopf. „Na, da werden wir wohl etwas tun müssen, damit ich in Deinen Augen wieder Gefallen finde".
„Nein, Du gefällst mir auch so", behauptete sie steif und fest. Doch ihr verschmitztes Lächeln bewies ihm, das sie flunkerte. „Also auf zum Badehaus, schöne Frau", witzelte der Jäger schelmisch. „Ich bin doch keine Frau", tat Ishilea entrüstet. „Aber hübsch bist Du allemal", beharrte er. Sie wand sich auf seinem Arm. Schließlich meinte sie: „Du schwindelst, Eneas, oder"?
„Nein, bei den Göttern, es ist mein voller Ernst"! Er tat entrüstet. „Wie könnte ich eine solch schöne Frau anlügen"? Plötzlich lachte das Mädchen hell auf: „Und Du schwindelst doch"!Ishilea kicherte. „Du lachst"! Den Jäger erfreute die aufgeweckte Art des Mädchens. Für diesen Moment schien sie das schreckliche Erlebnis mit ihrem Bruder zu verdrängen. „Ja, weil es lustig ist mit Dir"!
Auf dem Weg sammelten Eneas noch schnell die wenigen Habseligkeiten der Kinder zusammen, sowie das Spinnrad, welches er aber kurzerhand bei einem Tuchhändler gegen ein warmes Wolltuch für das Mädchen eintauschte. „Ich hatte große Angst vor Dir, als Du mit dem Mann gekämpft hast! Aber Du hast auch gemacht, dass ich sehen kann. Jetzt habe ich überhaupt keine Furcht mehr", meinte sie und kuschelte sich in das warme Tuch. Sie fühlte sich sichtbar wohl in der Nähe des Mannes. Nur ab und zu fiel ein dunkler Schatten auf ihr Antlitz. Doch sie hielt sich tapfer aufrecht.
Ohne es recht gewahr zu werden hatten sie das Badehaus erreicht und der Jäger ließ das Mädchen herunter. Staunend wanderten ihre Blicke und sie schien sich nicht satt sehen zu können. Dem Kind eröffnete sich eine völlig neue Welt, die es zu erkunden galt. Ein Diener wies ihnen einen Badezuber zu, nicht, ohne vorher das Mädchen argwöhnisch gemustert zu haben. Jedoch schien sie in seinen Augen die Prüfung bestanden zu haben und so trollte er sich murrend. Gewohnt lässig entkleidete sich der Jäger und spürte plötzlich ihre Blicke auf seinem Körper. Verschämt drehte er sich weg und stieg flink in den Zuber. Langsam trat Ishilea näher, steckte einen Finger ins Wasser und ihre Augen weiteten sich staunend. „Das Wasser ist ja wirklich warm"!
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Tara's Träne
FantasyDie Träne der Göttin Tara ist ein magisches Artefakt und unschätzbar wertvoll für jene, welche die Macht des Steines kennen und zu nutzen wissen. Der Jäger Eneas vom Schattenbach wird durch einen tragischen Unglücksfall zum Hüter dieses Kleinodes. Z...