Auroras p.o.v.
Als ich wieder wach wurde, wusste ich nicht mehr, welcher Tag denn eigentlich war und ob es morgens oder abends war. Völlig verwirrt sah ich mich in meinem Zimmer um. Mein Gesicht war heiß, meine Augen dick und verquollen, meine Nase pochte höllisch und mein Hals war durch das ganze Schluchzen ganz rau.
An meinem Schreibtisch saß Alex. Sein Gesicht sah fürchterlich aus, als wäre er von einer Horde Nashörner niedergetrampelt worden. Als er meinen Blick auf sich spürte, wendete er sich mir Komplet zu.
"Luca sieht schlimmer aus", meinte er mit einem breiten Grinsen und legte sich dann zu mir aufs Bett. "Du hast ihn also vor mir gewarnt?"
"Ich habe ihm erklärt, dass er dich nicht unterschätzen sollte, hat er wohl doch getan", antwortete ich leise, mit krächzender Stimme.
"Das hat er wohl wirklich", meinte Alex, selbst etwas betrübt, "Also was wirst du jetzt machen?"
"Ich liebe ihn", flüsterte ich, mit meinem Kopf an seine Brust gedrückt.
"Ich weiß. Das heißt, du wirst es versuchen? Versuchen diese Ehe weiter zu führen?"
"Ach, ich habe keine Ahnung. Ich liebe ihn und er mich - irgendwie. Aber es war alles viel zu früh. Jetzt sind wir aber schon verheiratet. Wir können dir Uhr nicht mehr zurück drehen."
"Das klingt, als hättest du deine Antwort schon längst", meinte Alex, "Schade, ich hätte ihn gerne noch mehr verprügelt. Er hat viel mehr verdient, als bloß diese paar Schläge."
Enttäuscht sah mein bester Freund mich an.
"Ich werde wieder zu ihm gehen. Wir waren schon einmal getrennt. Du weißt, wie es mir damit ging. Ich liebe ihn zu sehr. Wir werden auch diese Hürde gemeinsam überwinden."
"Dann tu mir wenigstens den Gefallen und lass ihn noch ein bisschen zappeln. Renn nicht sofort wieder zu ihm zurück. Er hat es zumindest verdient, dass er sich noch etwas länger gedulden muss, bis er wieder was von dir hört", flehte Alex mich förmlich an.
"Na gut", lächelte ich, ihm zustimmend, leicht zu.
"Dann lass uns mal meine Schwester suchen", meinte Alex motiviert, "Seit dem sie diesen komischen Mickey kennengelernt hat, sehe ich sie überhaupt nicht mehr. Es ist, als würde sie überhaupt nicht mehr existieren."
"Wann war sie denn das letzte Mal hier?", fragte ich verwundert nach.
"Keine Ahnung. Ist wahrscheinlich schon Wochen her. Ich habe vorgestern ihr Zimmer durchsucht. Da ist wirklich nichts mehr von ihr. Sie hat nur dreckige Klamotten im Wäschekorb, das ist alles, was darauf hinweist, dass sie überhaupt mal hier gewohnt hat."
"Sollten wir uns Gedanken um sie machen? Ich habe das Gefühl, ich hätte sie im Stich gelassen."
"Du kennst sie doch. Sie war schon vorher so. Sie lebt in den Moment hinein. Gerade ist dieser Mickey die Welt für sie. Wenn sie sich etwas beruhigt hat und feststellt, dass sich die Welt nicht um Mickey dreht, kommt sie wieder. Das hat sie auch schon in Amerika so gemacht. Weißt du noch dieser komische Hockeyspieler, Sam?! Sie war drei Monate nicht aufzufinden!", antwortete mein bester Freund.
"Trotzdem sollten wir sie mal anrufen. Nachhorchen, ob sie noch lebt", schlug ich leise vor.
"Mach das mal. Ich hole uns etwas zu Essen."
Ich griff nach meinem Handy. Sofort wurden mir mehrere Anrufe und Nachrichten, von Luca angezeigt. Aber damit wollte ich mich jetzt noch nicht befassen. Schnell tippte ich die Nummer meiner eigentlichen besten Freundin ein. Aber nichts passierte. Damit meine ich nicht, dass niemand ran ging. Es kam eine Durchsage, dass diese Nummer nicht vergeben sei.
Panisch sah ich Alex an, als er wieder ins Zimmer kam.
"Ihre Nummer gibt es nicht mehr!", erzählte ich verunsichert. Ich war eine fürchterliche Freundin. Ich hatte mich so auf mein eigenes Leben konzentriert, dass ich meine beste Freundin komplett links liegen gelassen hatte. Das hatte sie wirklich nicht verdient. Und hier saß ich nun und weinte um meinen Ehemann, während sie vermisst wurde und keinem von uns war es überhaupt aufgefallen! Wie konnte ich nur so egoistisch sein! Sie hatte sich immer um nicht gekümmert und mich bei sich aufgenommen, als wäre ich ihr Schwester. Und wie dankte ich es ihr?! Ich ließ sie einfach alleine, sobald wir wieder in Italien waren!
"Ich werde mal mit meinen Leuten reden. Sie sollen nach ihr suchen", antwortete Alex ganz ruhig, "Mach dir keine Gedanken. Es ist alles gut. Hätte man sie entführt, hätte ich schon längst irgendwelche Erpressernachrichten bekommen."
"Es sei denn, sie ist einfach an irgendeinen kleinen Idioten gekommen, der sie vergewaltigt hat und dann ausgeraubt hat. Und jetzt liegt ihre Leiche auf irgendeiner Müllkippe! Du vergisst, wir sind in Italien und nicht in Amerika. Hier kennt nicht jeder Gangster dein Gesicht und deine Familie. Hier könnte so etwas passieren!"
"Wir reden hier von Ava! Sie kümmert sich, seit dem sie 15 ist um sich selbst. Glaub mir, keiner kann sie so schnell bekommen!"
"Alex! Du verschweigst mir doch etwas! Du kannst doch nicht ernsthaft so ruhig bleiben?!", antwortete ich verwundert, "Eben hast du dich noch mit Luca geprügelt, weil er mich erst in vier Jahren heiraten wollte. Aber wenn die Handynummer deiner Schwester nicht mehr existiert und du sie seit fast einem Monat nicht mehr wirklich gesehen oder gesprochen hast, ist das vollkommen normal?!"
Alex zuckte bloß mit den Schultern und wand seine volle Aufmerksamkeit seinem Handy zu. Obwohl ich noch weitere Fragen stellte, ignorierte Alex mich komplett und tippte einfach nur weiter auf seinem Handy herum. Erst nach fünf Minuten, die mir vorkamen, wie eine Ewigkeit, sah er mich wieder an.
"Sie haben, sie gefunden. Ava sitzt glücklich und zu frieden in einem kleinen Café in der Innenstadt. Wir sollen sie heute Abend in irgendeinem Club treffen", sagte Alex ganz gelassen, "Ich habe dir ja gesagt, dass alles in Ordnung ist."
"Du hast dir also doch Gedanken gemacht!", meinte ich mit hochgezogenen Augenbrauen.
"Natürlich! Sie ist meine kleine Schwester!", antwortete Alex, als wäre es das offensichtliche der Welt, "Aber es reicht, wenn du nicht mehr richtig Denken kannst. Während du dir einen Kopf machst und dir selbst Vorwürfe machst, kann ich mich um das eigentliche Problem kümmern. Wenn wir beide in Panik verfallen würden, würde nicht zustande kommen und wir hätten Ava erst in einer Woche gefunden, wenn überhaupt. Manchmal hilft mein eiskaltes Herz eben doch."
"Du hast kein eiskaltes Herz, Alex!", antwortete ich leise und drückte meinem besten Freund einen Kuss auf die Wange.
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I will fear no evil
RomanceAurora Fontana, die Tochter des gefürchteten Drogenbosses Giovanni Fontana. Ein Leben im goldenen Käfig, aus dem sie nie ausbrechen konnte, aber es auch nicht wollte. Bis sie von Anhängern der verfeindeten Moretti Familie entführt wird und plötzlich...