Kapitel 51

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Nach einer langen Pause des Schweigens hatten Emilio und ich wieder angefangen miteinander zu reden. Erst nach mehreren Stunden stand er auf. Allerdings hatten wir uns dann an banalen Smalltalk gehalten und nicht mehr über seine oder meine Familie geredet.

"Meine Schicht endet gleich. Ich muss wieder nach draußen", meinte Emilio. Ich nickte und dankte ihm , für die Zeit, die ich nicht alleine verbringen musste.

"Warte!", stieß ich aus, bevor er die Tür wieder hinter sich ins Schloss ziehen konnte. "Welchen Tag haben wir heute?"

"Samstag", lautete die knappe Antwort vom Wachposten. Mit einem lauten Klicken fiel die Tür ins Schloss und ließ mich in meiner eigenen selbstgewählten Stille zurück.

Ich versuchte nicht darüber nachzudenken, dass meine ganze Familie und meine Freunde gerade wahrscheinlich wütend und panisch nach mir suchten. Darüber das die letzten Worte, die ich mit meinem Ehemann, den ich wirklich liebt, gewechselt hatte, Worte im Streit gewesen waren. Und schon gar nicht darüber, dass ein paar Stockwerke über mir meine beste Freundin, die mich verraten hatte, mit einem Mann zusammen zog, der sie nicht liebte und nur benutzte, um sein eigenes perfides Spiel durchziehen zu können.

Ich musste stark bleiben. Für mich selbst und für meine Familie. Entschlossen schloss ich meine Augen für einige wenige Sekunden und atmete tief ein und wieder aus. Michele würde mich nicht unterkriegen und ich würde hier auch nicht verrotten.


Lucas p.o.v

Eine ganze Woche war vergangen. Täglich kamen neue Bilder von Aurora. Jedes Mal mit eindeutigen Botschaften, die dafür sorgen sollten, dass wir uns gegenseitig ins Visier nahmen. Aber längst hatten Aurora Familie, die Morettis und meine Familie begriffen, worum es hier wirklich ging. Wir sollten uns gegenseitig auseinander nehmen, damit die uns noch immer unbekannte Gang unsere Plätze ausfüllen konnte. 

Wir arbeiteten enger denn je zusammen. Das Anwesen der Familie Fontana war unser täglicher Treffpunkt. Wir hatten unsere besten Männer angesetzt, aber es schien als wäre dieser Mafiosi ein Geist. Keiner kannte ihn oder wusste wie er nur aussah.

Still saß ich in Auroras altem Zimmer an ihrem Schreibtisch und starrte auf das Bild von mir, das in ihrer Schublade versteckt lag. Das Bild war vor Jahren entstanden, als ich noch von meinem Vater auf sie angesetzt war und mich in diesem Rosengarten bei den Morettis in dieses bezaubernde Wesen verliebt hatte.

Flüchtig hörte ich, wie jemand unten das Anwesen betrat. Kurz darauf drangen Schreie und laute Stimmen zu mir hoch. Aber erst als Alex die Tür fast einrannte, um mir  außer Atem zu sagen, dass ich sofort nach unten kommen musste, erhob ich mich seufzend von meinem Platz. Das Foto hatte ich zurück in die Schublade gelegt.

Mit Aurora waren auch all m eine Lebensgeister verschwunden. Das letzte Mal hatte ich mich so ausgelaugt gefühlt, als Aurora nach Amerika verschwunden war und niemand sie finden konnte. Der einzige Unterschied damals war, dass sie freiwillig vor mir geflohen war. Dieses Mal hatte sie jemand anderes eingemischt und das machte mich unglaublich wütend.

"Was?!", zischte ich gereizt Edo an, der mich erwartungsvoll ansah. Dieser schüttelte über meine Laune bloß den Kopf und zeigte auf einen verwundeten jungen Mann. Ich wusste nicht, ob er zu Alex, Morettis, Edos oder meinen Leuten gehört, aber es war mir auch egal.

Mit hochgezogener Augenbraue starrte ich den jungen Mann herausfordernd an. Es sollte besser gut sein, was er mir zu sagen hatte, ansonsten gnade ihm Gott!

"Ich bin Alex Schwester gefolgt", gestand der Junge, der mir mehr und mehr wie ein weinerliches Kind vor kam, leise. Einer der Ärzte versorgte den Streifschuss an seiner Schulter.

"Wieso bist du meiner Schwester gefolgt", fragte Alex mit zusammengekniffenen Augen bedrohlich leise nach.

"Ich finde sie süß und wollte sehen, dass sie sicher am Flughafen ankommt", flüsterte der Junge weiter. Große Krokodilstränen liefen über seine Wangen, während der Arzt erbarmungslos die Wunder versorgte.

Etwas entspannte nickte Alex dem winterlichen Wurm zu und signalisierte ihm, er solle weiter erzählen.

"Sie ist nicht zum Flughafen gefahren, sondern zu einem Anwesen etwas außerhalb von der Stadt. Es war unglaublich stark bewacht und als sie mich gesehen haben, haben sie sofort geschossen."

Eine unangenehme Stille breitete sich im Raum aus. Keiner wollte aussprechen, was alle dachten.

"Dieses verfickte Miststück hat uns hintergangen und ist übergelaufen. Sie hat uns hintergangen und hat uns wahrscheinlich sogar angelogen. Sie wusste die gesamte verfickte Zeit, wo Aurora ist!", brüllte Matteo los. Auch wenn er der jüngste der vier Fontana Kinder war, er war auch der reizbarste und der mit dem meisten Beschützerinstinkt für seine große Schwester.

"Das ist bestimmt nicht was passiert ist. Sie hat mir gesagt, dass sie nicht gehen will, dass sie bei ihrem Freund bleiben will. Wahrscheinlich ist das bloß ihr Freund", versuchte Alex ganz leise das Verhalten seiner Zwillingsschwester zu erklären. Aber auch er hörte, dass das was er sagte keinen Sinn ergab. Oder vielleicht zur Hälfte einen Sinn ergab.

"Ach ja! Und wer hat dann auf deinen Jungen, Jimmy, geschossen?", fragte Matteo herausfordernd.

Anscheinend hatten die zwei Verliebten ein Thema gefunden, bei dem sie sich nicht einig waren.

"Nur weil jemand auf Eindringlinge schießt heißt nicht direkt, dass er bei der Maffia ist!", zischte Alex.

"Wir sind aber hier in Italien und nicht Amerika. Hier schießt man nicht direkt auf Menschen, die dein Grundstück betreten. Es sei denn du hast etwas zu verheimlichen oder bist bei der fucking Maffia!!!", brüllte Matteo seinen Freund an.

Alex wollte gerade zu einer wütenden Antwort ansetzen, da unterbrach Diego die beiden. Mit einer ruhigen, aber direkten Stimme sorgte er augenblicklich für Ruhe.

"Es ist mir ziemlich egal, wer auf die Heulboje geschossen hat", meinte Auroras älterer Bruder ruhig, "Aber ich bin der Meinung wir sollten dieses Anwesen überprüfen. Wenn Ava nur zu ihrem Freund gefahren ist und er nicht bei der Maffia ist oder in irgendwelche krummen Geschäfte verwickelt ist, dann werden wir das herausfinden. Aber ich will wissen, wo meine kleine Schwester ist und das gerade ist der erste Ansatz, den wir seit ihrer Entführung haben. Oder willst du Aurora nicht finden?" Herausfordernd sah Diego den besten Freund seiner Schwester an.

Geschlagen nickte Alex mit dem Kopf. Natürlich wollte er Aurora finden und sie retten, aber den Gedanke, seine Schwester könnte etwas damit zu tun haben, konnte er einfach nicht verarbeiten.

I will fear no evilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt