Johannes' POV
Langsam schlenderte er durch die Straßen, vollständig in Gedanken versunken. Einerseits beseelt von einem Glücksgefühl, das er kaum beschreiben konnte, allerdings auch unruhig, weil er nicht alles erzählt hatte. Es kam ihm vor wie eine Lüge, eine unausgesprochene.
Doch Mark durfte sich nicht aufregen. Dieser eine Tag Aufschub würde seinem Körper und der Seele gut tun. Er musste doch erst zu Kräften kommen, zu mitgenommen und schwach lag er da. Erst als er wieder eingeschlafen war hatte Johannes sich auf den Heimweg gemacht.
Morgen würde er es ihm sagen. Gleich in der Früh, bevor es ein anderer tat. Das war er ihm als Freund schuldig. Und wenn er es zuließ, würde er ihm helfen, ihm beistehen.
Er vergrub die Hände wieder tief in die Hosentaschen. Immer noch war es bitterkalt. Dennoch lief er den Weg vom und zum Krankenhaus lieber zu Fuß, er brauchte die Zeit für sich und die Gedanken, die seit Tagen ständig in seinem Kopf kreisten.
Die Bilder vom Unfall schoben sich wie so oft in sein Gedächtnis. Sie hatten sich angeregt unterhalten, als dieser Knall sogar die Fensterscheiben des Cafés vibrieren ließ. "Das ist doch das Auto von Mark!" Johannes Oerding hatte es sofort erkannt. Entsetzt waren sie aufgesprungen und nach draußen gehetzt.
Das Café grenzte an diese wenig befahrene Kreuzung und sie hatten sich extra ans Fenster gesetzt, um die Ankommenden zu dirigieren, falls sie es nicht gleich finden sollten. Nun waren sie erstarrt auf das helle Auto fokussiert gewesen, das auf der rechten Seite komplett demoliert schien und den LKW, der ebenso schräg zum Halten gekommen war.
Während sein Kumpel einen Notruf abgesetzt hatte, war Johannes so in Trance gewesen, dass er nur auf das Auto starren konnte, welches wenige Meter von ihnen entfernt gestanden hatte. Durch die Windschutzscheibe waren die Silhouetten der beiden Männer zu erkennen gewesen, die in ihren Gurten hingen und es hatte alles andere als gut ausgesehen.
Der Fahrer des LKW hatte entsetzt in den Wagen und dann zu der Menschentraube gesehen, die sich schnell gebildet hatte. Auch sein Freund war zu ihnen gerannt, hatte die Tür der Fahrerseite geöffnet und nach Mark seinem Puls gefühlt, wie er später berichtet hatte. Dann konnte man schon die Sirenen vernehmen und innerhalb weniger Minuten waren etliche Rettungsdienste vor Ort gewesen, die ihre Freunde vorsichtig auf Tragen gelegt und dann in die Krankenwägen gebracht hatten.
Johannes schüttelte den Kopf, wollte die Erinnerungen vertreiben.
Es belastete ihn, so erstarrt gewesen zu sein, unfähig, auch nur einen Finger zu rühren. Wäre man auf ihn angewiesen gewesen, er hätte komplett versagt. Er konnte den Schock fühlen, sobald er daran dachte.
Leicht seufzte er. Gleich würde er zu Hause sein, Anna und Nitti alles berichten, um dann Emil ins Bett zu bringen. Wieder gingen seine Gedanken zurück zu Mark. Hoffentlich konnte er entspannt schlafen und würde sich nicht zu große Sorgen um Max machen, so berechtigt sie auch waren. Er würde den Schlaf brauchen.
Er holte den Schlüssel aus seiner Jackentasche und schloss die Eingangstür auf. Während er die Treppen in den zweiten Stock zu Fuß hoch stieg, konnte er schon das Lachen seines Sohnes vernehmen, was ihn schmunzeln ließ.
Schon als er nur den Schlüssel ins Schloss steckte hörte er Emil "Papa." rufen. Sofort ging die Tür auf und sein Kleiner sprang ihm in die Arme. Johannes küsste ihn auf sein Haar, drückte ihn fest an sich und war glücklich über diesen Wirbelwind.
Anna kam in den Gang, lächelte ihn an. "Du hast bestimmt Hunger, das Essen ist schon fertig."
Er zog sich Jacke und Schuhe aus, nahm seinen Sohn an die Hand und gemeinsam liefen sie in die Küche. Daniel saß bereits am Tisch und Anna stellte ihm nun auch einen Teller Pasta hin, gab ihm einen Kuss. "Jetzt iss erst. Dann kannst du in Ruhe erzählen."
Nitti lächelte ihn an, während sie schweigend aßen. Doch, er hatte Hunger, war seit dem Frühstück im Krankenhaus gewesen, bevor er Daniel mittags heimgeschickt hatte zum Schlafen. Nun sah dieser etwas erholter aus, doch die letzten Tage hatten bei jedem Spuren hinterlassen.
Als sie später bei einem Bier auf dem Sofa Platz genommen hatten, spürte Johannes das erste Mal Erleichterung. Bis gestern hätte sich alles noch komplett anders entwickeln können, immer wieder hatte der Arzt von dem erheblichen Blutverlust gesprochen und dass Prognosen schwierig wären. Und nun war Mark endlich aufgewacht und stabil, wie der Arzt es nannte. Er hatte Nitti bereits ausführlich über den Nachmittag informiert.
"Du bist ein guter Freund." Die Worte von Daniel überraschten ihn.
"Du doch auch. Du bist hier." Johannes fand es nicht selbstverständlich, dass Nitti seit dem Unfall hier in Hamburg weilte, alle Termine hatte sausen lassen, um bei seinem Freund zu sein.
Daniel lachte kurz auf. "Nein, ich meine...Ich wusste nicht, wie nah ihr euch steht. Dass ihr so eine enge Verbindung habt. Das ist schön. Mark schätzt Freundschaften sehr."
Müde fuhr sich Johannes über das Gesicht. "Obwohl ich mich momentan nicht wie ein solcher fühle. Da sollte man ehrlich sein." Ja, es ließ ihm keine Ruhe. Mark hatte alles wissen wollen und er hatte es verschwiegen.
"Du hast es ihm nicht gesagt?" Nitti nahm einen Schluck und sah ihn an. Es lag keine Verwunderung in seinem Blick.
Johannes schüttelte den Kopf. "Ich konnte es noch nicht. Nicht heute." Er seufzte schwer.
Nitti legte ihm eine Hand auf die Schulter. Die letzten Tage hatten sie zu Freunde werden lassen. "Ich hätte ihn wahrscheinlich auch nicht gleich damit konfrontiert. Aber er wird das packen, bestimmt. Wir werden ihm helfen, er wird nicht alleine sein."
Daniel kannte ihn besser als jeder andere hier, doch Johannes konnte sich von der Angst nicht befreien, dass sie sich irrten, er anders reagieren würde, als sie erwarteten. "Was, wenn er es nicht kann? Ich weiß nicht, wie ich selber damit umgehen könnte."
Daniel sah ihn ernst an, zuckte unsicher mit den Schultern.
Die Antwort darauf würden sie erst erfahren, wenn es soweit war. Wenn Mark die ganze Wahrheit kannte. Und dazwischen lag noch eine Nacht, eine lange Nacht.
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Fate
FanfictionWenn das Schicksal einen herausfordert, emotional durcheinanderwirbelt, man nicht mehr weiß, wo man steht, wer man ist. Das muss Mark Forster am eigenen Leib erfahren, lernen, mit Gefühlen und Gedanken umzugehen, die ihn zermürben und niederschmett...