Kapitel 5

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Mark's POV


Es war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen, nur härter und der Schmerz verging nicht.

Johannes saß immer noch an seinem Bett, sein Freund und langjähriger Musikkumpel Daniel Nitt hatte sich einen Stuhl herangezogen und sich ebenso dicht platziert.

So nett es auch von ihnen war, dass sie da waren, die liebgemeinten Worte, die sie sprachen...es änderte nichts. Nichts an der Tatsache, dass er schuld war an dem Unfall, schuld, dass Max nun im Koma lag, schuld an allem, was mit ihm geschehen würde...und er konnte nur hoffen...

Er versuchte, den Kloß, der sich fest in seinem Hals eingenistet hatte, runterzuschlucken, doch das verstärkte den Druck in der Brust nur und er atmete schwer.

Sie hatten sich über Lena unterhalten und er wusste noch, wie sehr es ihn belastet hatte. War er deshalb so unaufmerksam gewesen, dass er die Ampel übersehen hatte?

Eigentlich war er ein guter und sicherer Autofahrer, hatte zwar vor einigen Jahren einen Punkt in Flensburg wegen zu schnellem Fahren kassiert, aber gerade an Stellen wie Kreuzungen, oder überhaupt, wenn Schilder und Signale verwendet wurden, war er besonders aufmerksam. Weil er eben durch seine Rot-Grün-Schwäche lediglich anhand der Stelle, wo es leuchtet, erkennen konnte, wie er zu reagieren hatte.

War er doch so abgelenkt gewesen?

Nun ja, das Gespräch war heftig gewesen. Wahrscheinlich war es das. Aber es machte es nicht besser, entschuldigte nichts.

Er sah zu seinen beiden Freunden. "Ihr müsst nicht bleiben. Die Fragen kann ich auch allein beantworten." Er wollte ihnen nicht sagen, dass sie gehen sollen, zu belastet wirkten beide, die ihm doch so nah standen. Und doch sehnte er sich nach einem kurzen Moment des Gehenlassens, um die Augen zu schließen, um dem Kummer und den Schmerz, der sich immer weiter in seine Eingeweide grub, etwas Raum zu geben, sich abzureagieren.

Dazu musste er allein sein.

"Das wissen wir." Nitti lächelte ihm zu. Zuckte mit den Schultern. "Wieso, willst du uns los werden?"

Was sollte er sagen? Natürlich nicht. Aber wäre es nicht richtiger, sie wären jetzt bei Max? Dieser war schließlich das Opfer, nicht er. Er war der Täter.

Und er fühlte sich schlecht damit. Sehr schlecht. Niemals würde er das wieder gut machen können.

So warteten sie weiter auf das Eintreffen der Beamten, schweigend.

Er fühlte die mitleidigen Blicke auf sich, während er sich kurz über die Augen rieb. Müde war er, ausgelaugt und die Kopfschmerzen wurden auch nicht weniger. Auch das Atmen fiel ihm immer noch schwer und tat weh. Allerdings war das nichts, im Vergleich zu Max seiner Situation. An der er schuld war. Und es machte nichts besser, so oft er sich das auch vorhielt.

Endlich klopfte es an der Tür und zwei Männer in Uniform traten in den Raum.

"Herr Cwiertnia?" fragten sie ihn und er nickte. Sofort erhoben sich seine Freunde und machten den Beamten Platz. "Wir sind hier, um Ihnen ein paar Fragen zu stellen. Fühlen Sie sich dazu in der Lage?" Wieder nickte er und ein Beamter setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett, der andere an den Tisch, der an der Wand stand, packte Unterlagen aus.

"Ich werde Ihnen nun ein paar Fragen bezüglich des Unfalls vom 17.02.1019, geschehen um 16:42 Uhr, stellen. Ich möchte Sie bitten, alle Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Es steht Ihnen frei, Antworten auf Fragen, die Ihnen zu einem Nachteil ausgelegt werden könnten, zu verweigern. Desgleichen haben Sie das Recht, eine Beihilfe in Form eines anwaltlichen Vertreters hinzuzuziehen. Haben Sie alles verstanden?"

Mark nickte, fügte ein: "Ja, habe ich." hinzu.

"Möchten Sie, dass Ihr Besuch anwesend ist, ansonsten würde ich Sie bitten, den Raum zu verlassen." Er wandte sich seinen Freunden zu, doch Mark hob seine Hand. "Sie dürfen gerne bleiben."

Nachdem seine Personalien abgefragt wurden, kamen sie auf den Unfalltag zu sprechen. Mark erzählte von seiner Fahrt von Berlin nach Hamburg, dem Stopp vor Max seiner Wohnung, die Gespräche, die sie geführt haben. Details wollten sie erstmal nicht wissen, erst, als die Frage nach einer eventuellen Konzentrationsproblematik aufkam, wollte er nicht ausweichen.

"Ich kann mich an die Situation des Unfalls nicht erinnern. Nicht mal an eine Ampel, also an diese Ampel. Aber ich kann nicht ausschließen, dass ich doch unkonzentriert war, weil der Inhalt des Gesprächs mit Herrn Giesinger...sehr emotional war." versuchte er es zu erklären, doch der Beamte hob eine Hand, lächelte.

"Wir bleiben bei den Fakten, Herr For...Cwiertnia. Da Sie sich an den Unfall nicht erinnern können, sind alle Überlegungen, warum es passiert ist, reine Spekulation. Wissen Sie, die Ursache muss ja mit dem zeitlichen Rahmen des Unfalls in Zusammenhang stehen und das können Sie nicht klar beurteilen, da Ihnen die Erinnerung fehlt. Das wäre erst von Bedeutung, wenn Ihr Erinnerungsvermögen wieder da ist. Momentan müssen wir davon ausgehen, dass Sie den Unfall dahingehend verursacht haben, in dem Sie bei Rot in die Kreuzung eingefahren sind, unabhängig einer Ursache."

Ihm wurde übel, die Worte hallten in seinem Kopf wider.

"Allerdings liegen uns weder bildgebendes Material noch Zeugenaussagen vor, wir haben lediglich die Aussage des Unfallgegners und die Ergebnisse der Spurensicherung. Über die weiteren Ergebnisse werden Sie dann schriftlich informiert." Er reichte ihm die Hand. "So, das war es schon. Wir sind soweit fertig. Ich danke Ihnen für Ihre Zusammenarbeit. Und gute Besserung." Er stand auf und nach einem kurzen Gespräch mit seinem Kollegen, der wohl alles notiert hatte, verließen sie gemeinsam das Zimmer.

Alle drei sahen ihnen hinterher.

Johannes trat wieder zu ihm ans Bett. "Du siehst müde aus. Willst du nicht ein wenig schlafen?"

Schlafen? Nein. Dazu war er jetzt zu aufgewühlt.

Es nochmal zu hören, dass er den Unfall verursacht hatte, zwar noch nicht bewiesen, aber was sollte es daran Zweifel geben...es tat einfach weh. Warum nur? Warum hatte er nicht aufgepasst? Der Kloß in seinem Hals verstärkte sich, wenn er an Max dachte, an seinen Freund, der es so gut mit ihm meinte und mit dem er fast gestritten hatte. Wie gerne würde er ihm sagen, dass es ihm leid tat, dass er alles tun würde, um es ungeschehen zu machen, wie sehr er ihn doch mochte...

"Verdammt!" Mark biss sich auf die Lippe. Er konnte nichts tun, einfach überhaupt nichts. Wieder stellte er sich in Gedanken seinen Freund vor, der ihm so ins Gewissen geredet hatte, wie es nur beste Freunde taten und er hatte es nicht wertschätzen können. Aus Angst, etwas zu verlieren, was er doch überhaupt nicht besaß. Und was war jetzt? Jetzt verlor er vielleicht einen Menschen, der immer für ihn da gewesen war, einen seiner besten Freunde. Durch seine Schuld!

Er seufzte, schloss die Augen. Doch, er wusste, was er tun musste. "Ich muss zu Max."



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