Kapitel 11

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Johannes' POV


Lena war nicht mehr mit hoch gekommen, hatte ihn nur abgesetzt, wollte Mark etwas Ruhe gönnen. Doch von Ruhe konnte nicht die Rede sein, da er schon vom Gang lebhaftes Gerede vernahm. Er musste schmunzeln. Eine Stimme, laut und positiv, gehörte definitiv Natalie, Mark's Schwester.

Als er die Wohnung betrat und seine Jacke auszog, sah er währenddessen in die Wohnstube rüber, konnte sehen, dass mindestens drei Personen anwesend waren. Den Herrn, der im Sessel saß, mit grauem Haarkranz, groß und ernst dreinblickend, kannte er nicht.

Sofort sprang Natalie in seine Arme, als er zu ihnen trat und er drückte sie fest. Es hatte etwas gedauert, bis sie ihre Hemmungen ihm gegenüber abgelegt hatte, aber nun waren sie sich freundschaftlich verbunden. Mark's Mutter kannte er von Veranstaltungen, wobei dieser immer darauf achtete, sie dort im Hintergrund zu halten. Sie begrüßte er mit Handschlag, ebenso den Herrn, der sich als Vater von Mark vorstellte. Da war Hannes überrascht, da er ihm gegenüber noch nie von ihm gesprochen hatte.

Nitti hatte ihnen Kaffee gemacht und Kekse auf den Wohnzimmertisch gestellt. Ihn drückte er kurz.

Mark saß auf dem Sofa, zwischen ihm und Nitti nahm Natalie wieder Platz, legte gleich ihren Arm um den großen Bruder und den Kopf an seine Schulter, sah wieder zu Johannes. "Ist Lena nicht mitgekommen?"

Oh. Er schüttelte den Kopf. "Sie packt ihre Sachen aus." Das war eine dumme Ausrede, aber die Wahrheit gehörte nicht hierher. Nitti presste die Lippen zusammen und auch Mark schien traurig. Er war ihm überhaupt zu blass momentan, das gefiel ihm nicht. Die Infusion lief noch und die Wunde war reizlos, hatte die Schwester gemeint. Vielleicht war jetzt auch alles nur zu viel für ihn. Dieser Nervenzusammenbruch war schließlich auch noch nicht lange her. Und er hatte mit ihm noch nicht über die Schlagzeilen gesprochen, wusste nicht, was er dachte.

"Johannes, danke, dass Sie sich so um Marek kümmern." Agnieszka sah ihn dankbar an, während er sich neben sie setzte.

"Das macht er gern, sie sind Freunde." warf Nati dazwischen, strich ihrem Bruder immer wieder über seinen Arm, griff sich einen Keks und hielt ihn Mark unauffällig hin, nickte ihm zu. Tatsächlich nahm dieser ihn ab und aß ihn auf. Hannes musste schmunzeln.

"Das ist schon ok." Er langte auch nach den Keksen. "Die hat Anna selbst gemacht." Er liebte sie vor allem wegen der Schokoglasur, deswegen waren sie fast immer vorrätig. Oder weg.

Natalie sah ihn fragend an. "Wo ist sie überhaupt? Und Emil?"

"Bei meinen Eltern." antwortete er.

"Wohnen sie auch hier in Hamburg?" Mark's Vater hatte eine angenehme Stimme.

Hannes schüttelte den Kopf. "Nein, sie wohnen in Worpswede. Ich komme ja ursprünglich aus Bremen."

"Und ist Werder-Fan." mischte sich das erste Mal Mark mit ein.

Hannes lachte. "Besser wie Kaiserslautern, würd' ich meinen."

"Oh, fängt das wieder an. Zu viele Fußballfans auf einem Fleck." Theatralisch ließ sich Natalie in die Rücklehne des Sofas plumpsen.

"Da bin ich Gott sei Dank raus." Nitti schüttelte lächelnd den Kopf und auch Mark's Vater lachte etwas.

"Ach so, und wenn du mit meinem Bruder debattierst ist das aus vollkommener Unwissenheit heraus, oder was?" Hannes war von Nati beeindruckt, wie sie diese grundlegend angespannte Atmosphäre lockern wollte.

"Ich bin von Natur aus ein freundliches Bürschchen. So ist das." meinte Nitti unschuldig.

Mark sah zu ihm. "Dann lügst du mich also ständig an?"

Nitti zuckte mit den Schultern und alle lachten. Nur bei Mark konnte Hannes spüren, wie er sich quälte.

Dennoch wurde es noch ein angenehmer Nachmittag und als Hannes Mark's Eltern zur Tür brachte, war es bereits dunkel. Da Natalie hier bleiben wollte hatte sich Mark's Vater angeboten, Agnieszka nach Hause zu fahren. Es war beeindruckend, dass sie diese Strecke für einen relativ kurzen Besuch auf sich genommen hatten, aber es waren halt die Eltern.

Zurück im Wohnraum blieb ihm fast das Herz stehen vor Rührung, als er Natalie und Mark in einer innigen Umarmung vorfand. Er wusste, dass sie sich nahestanden, wahrscheinlich hatten sie dafür noch nicht die Gelegenheit gehabt.

Nitti deutete ihm an mit zur Küche zu kommen, was Hannes auch tat. Er wollte diese Zweisamkeit nicht stören.

"Wo ist Lena wirklich?" fragte Nitti sofort.

Hannes zuckte mit den Schultern. "Sie wollte Mark Zeit geben, zum Durchatmen."

Nitti wirkte betroffen. "Ich dachte wirklich, dass es ihm gut tun würde, wenn er wüsste, dass sie ihn auch gern hat."

"Es hat ihn einfach überrumpelt. Ich könnte mich auch nicht auf eine Liebelei einlassen, wenn ich mir gleichzeitig Vorwürfe machen würde, durch das eigene Tun einen meiner besten Freunde schwer verletzt zu haben."

"Hallo, ihr zwei! Keine Geheimnisse, wenn noch andere im Raum sind."

Hannes drehte sich lachend um. Natalie's Natürlichkeit war so befreiend. Sie kuschelte immer noch ganz nah an Mark, der sie locker im Arm hielt, sah aber zu ihnen rüber.

"Was gibt's?" Auch Nitti konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

"Was für eine Frage." Sie verdrehte die Augen. "Vielleicht solltet ihr Männer mal das Gehirn einschalten?" Nun kicherte sie auch ein wenig. "Ich hab ne sechs-Stunden-Fahrt hinter mir und eventuell ein wenig Hunger! Habt ihr euch darüber schon Gedanken gemacht? Also, was es zu Essen gibt?"

Hannes und Nitti sahen sich an. Lachten herzhaft. Dann zuckte Hannes mit den Schultern. "Also entweder Pasta von mir oder Pizza vom Lieferdienst."

Natalie ließ ein "Oh..."verlauten, meinte dann aber: "Also, so sehr ich deinen Kochkünsten auch vertrauen würde...aber zu Pizza kann ich nicht nein sagen. Tut mir leid."

Also suchte Hannes im Handy seinen favorisierten Lieferdienst aus und bestellte jedem seine Pizza. Mark hatte offensichtlich keinen Appetit, aber so ein Stückchen Pizza würde er wohl schaffen. Für Nitti und sich holte er je ein Bier, brachte diese an den Wohnzimmertisch.

Dann kam ihm ein Gedanke. Er sah zu Mark, deutete auf eine Flasche. "Du auch?" Tatsächlich nickte Mark und Hannes reichte ihm gleich eine der geöffneten Flaschen.

Nati schien skeptisch. "Ist Alkohol wirklich gut? Er nimmt doch bestimmt Medikamente." Sie fasste ihren Bruder an den Rücken und sah ihn direkt an. "Also ich frage nur. Das entscheidest du natürlich selber." Sie lächelte ihn nun doch unsicher an.

"Das passt schon." murmelte er.

"Nati, du auch?" Hannes wartete ihr Nicken ab, ging dann nochmal zwei Flaschen holen.

Als er zurück war saßen alle bereits lümmelnd auf dem großen Sofa. Hannes reichte Nitti ein Bier und dann stießen sie an.

Natalie lachte kurz auf. "Dann besaufen wir uns halt", boxte ihrem Bruder bei ihren Worten leicht in die Seite und forderte ihn auf, mit ihr zu trinken.

Hannes musste grinsen. Es war gut, dass Natalie hier war.


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