Kapitel 52

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Johannes' POV


Hannes kam wieder in den großen Raum und hatte drei Kaffee mitgebracht, gab Nitti und Max' Mutter jeweils einen und trank dann selber von seinem. Seit drei Stunden waren sie hier und jeder wurde langsam müde. Er ging zu Max' Mutter, die sich kurz beruhigen wollte und sich etwas entfernt vom Bett gestellt hatte, das Gesicht von ihrem Sohn abgewandt, damit er nicht sehen konnte, dass sie weinte. Nitti saß derweil am Bett und erzählte ihm von ihren Begegnungen, während Mark weit abseits an einer Wand lehnte und niedergeschlagen die ganze Szenerie beobachtete oder zu Boden blickte.

"Er meint es doch nicht so." murmelte Max' Mutter mit einem betrübten Blick auf seinen Freund und Hannes nahm sie seitlich in den Arm. "Das wissen wir. Und das weiß Mark auch. Ist halt schwer zu verdauen." Es hatte ihm selber weh getan, dass Max solche Angst vor Mark hatte, auch dachte, dass er ihm etwas antun wollte. Ausgerechnet vor ihm, der sowieso mit der Gesamtsituation haderte. Aber diese Art von Wahnvorstellungen seien in dieser Phase normal, hatte man ihnen erklärt, nur ob und wann sie vorbei wären, das würde sich erst in den nächsten Stunden oder Tagen zeigen. Daher war es wichtig, dass Max sich so schnell wie möglich selber wiederfinden würde, wieder wusste, wer er war.

So wechselten sich Hannes und Nitti immer wieder mit Max' Mutter ab und beschrieben ihm, was sie über ihn wussten und welche Erlebnisse sie verband. Leider hatten sie kaum nennenswerten Erfolg, nicht einmal an seinen Bruder erinnerte Max sich momentan, was später, wenn dieser mit seinem Vater vorbei käme, auch für große Bestürzung sorgen würde. Nur seine Mutter, die hatte er sofort erkannt. Aber er wusste nichts über sich, seine aktuelle Situation und seinen Beruf. Und er kannte seine Freunde nicht, die bei ihm waren und ihm helfen wollten.

Lediglich Mark blieb in einiger Entfernung von ihnen allen, wagte nicht mehr, Max auch nur ansatzweise näher zu kommen, da dieser sofort zusammenzuckte, wenn er ihn sah, stand seit Stunden einfach nur da und wollte nicht einmal mehr mit ihnen sprechen. Wieder seufzte Hannes auf, als er ihn so beobachtete. "Möchtest du?" Nitti war zu ihm getreten und legte die Hand auf seine Schulter. Natürlich nickte er und setzte sich wieder auf den Stuhl neben dem Bett.

"Johannes, ist das richtig?" fragte Max. "Ja, Max, das ist richtig." Sein Gedächtnis litt auch noch etwas, da er sich ihre Namen nicht merken konnte. Aufgrund der langen Beatmung war seine Stimme rau und heiser, aber er konnte problemlos Sätze bilden. "Du bist Musiker." Hannes musste lächeln, das hatte er sich also gemerkt. "Ich gehe in den nächsten Tagen auf Tour mit meiner Band. Du wärest momentan auch auf Tour mit deinen neuen Songs." Das hatte er zwar schon einmal erzählt, aber Max reagierte jedesmal so erstaunt, als würde er es zum ersten Mal hören. "Ich mache Musik?" fragte er und Hannes nickte. "Deutschen Pop. Und du bist sehr erfolgreich." Die überraschten Augen von Max taten ihm weh. Er beobachtete ihn, wie er immer wieder in sich hineinhorchte und angestrengt überlegte. Und dann kam dieser verzweifelte Blick, wenn er registrierte, dass nichts kam, was ihm bekannt vorkam, dass er sich nicht erinnerte.

Hannes musste schlucken, als er auf einmal Tränen in seinen Augen sah. "Max, das wird wieder. Du brauchst nur Zeit." versuchte er ihn gleich zu beruhigen, strich ihm über den Arm. Doch dieser schüttelte den Kopf und die ersten Tränen liefen ihm über die Wangen. "Und wenn nicht? Wenn nie wieder etwas kommt?" kam es heiser über seine Lippen und er fing an zu schluchzen, was Hannes einen Stich versetzte. "Max." murmelte er unsicher. Er wusste, dass dies eine kritische Zeit war, die entscheiden würde, wie es für Max weiterginge. Er durfte die Hoffnung einfach nicht aufgeben. Doch dieser konnte seine Verzweiflung nicht mehr beherrschen. "Ich bin doch dumm." wimmerte er und griff mit den Händen in die Decke, während die Tränen nur so liefen.

Wie so oft an diesem Tag fühlte Hannes sich überfordert. Wie tröstete man einen Menschen, der sich an kaum etwas erinnerte, zu einem selber keine Bindung verspürte. Bevor ihm jedoch irgend etwas Aufmunterndes über die Lippen kommen konnte, hörte er plötzlich Mark's Stimme, zuerst kaum zu vernehmen, dann nicht ganz so leise. Und als er verstand, was dieser gerade tat, bekam er eine Gänsehaut.

"Wollt ich's nicht immer so, nie zu Hause sein, ständig unter Strom, Stillstand als der größte Feind. Ich reiß die Wurzeln aus, bevor sie tiefer gehen..."

Das war ein Lied von Max und Mark sang es mit sachter, zitternder Stimme, kannte den Text, merkte wohl nicht, dass man es trotzdem hören konnte, da er so in sich gekehrt wirkte und verloren. Hannes wusste momentan jedoch noch nicht, um welches es sich handelte, war mit dessen neuen Liedern nicht so vertraut. Jedenfalls beobachtete er Max, der mit hochgezogenen Brauen aufhörte zu schluchzen und den Tönen lauschte.

"...immer in Bewegung, immer auf dem Sprung, bin ich wirklich auf der Suche oder nur süchtig nach Veränderung? Ich frage mich, wie lang soll das noch weitergehen?" Man hörte Mark kurz laut aufatmen. "Schon so lang unterwegs, mein Kopf will immer noch weiter, mein Herz sagt, dass ich..."

"...Zuhause vermiss' ..." kam flüsternd von Max und Hannes musste schlucken, während Mark weitersang. "...wo auch immer das ist, wann halt' ich an und hör' auf, wegzulaufen? Weil ich Zuhause vermiss', wo auch immer das i..ist." Mark schniefte kurz, stand immer noch mit gesenktem Blick an der Wand, und sang dann weiter. "Ne Flut neuer Gesichter, kenn mich selbst manchmal nicht mehr. Wache irgendwo auf und frag mich, wo ich wirklich hingehör'. Lauf vor mir selber weg, und komm kaum hinterher. Immer mehr erleben, immer noch 'ne Schippe drauf, muss noch ein Level höher, fast alle Leben aufgebraucht. Wann bin ich mal zufrieden? Ist doch eigentlich nicht so schwer."

Auch Max' Mutter, die sich eine Hand vor den Mund hielt, und Nitti, hatten es nun mitbekommen, sahen angespannt hinüber zu Mark. Hannes konnte trotz der Entfernung sehen, dass Mark wohl Tränen aus dem Auge tropften und es tat ihm weh und auch Max starrte ihn nun mit großen Augen an.

Als Mark wieder im Refrain einsetzte konnte er es genau hören. "...Schon so lang unterwegs, mein Kopf will immer nur weiter, mein Herz sagt, dass ich Zuhause vermiss', wo auch immer das ist. Wann halt' ich an und hör' auf wegzulaufen? Weil ich Zuhause vermiss', wo auch immer das ist..." Max kannte seinen Text, kannte sein Lied, sprach die Zeilen mit. Hannes merkte, wie nun auch ihm Tränen in seine Augen traten und ein Lächeln auf sein Gesicht. Er sah zu Mark, hoffte, dass dieser einmal aufblicken würde, nur einmal, damit er diesen Moment erleben könnte. Doch der hielt den Blick weiterhin zum Boden gesenkt, merkte nicht, was er mit dem Singen dieses Liedes ausgelöst hatte.

Da erhob Max seine Stimme, der immer noch mit starrem Blick zu seinem Freund sah, und Hannes blieb kurz die Luft weg.

"Mark?"



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