Johannes' POV
Er hatte sich kurz vorgestellt und hielt den Zettel, der eigentlich ein Brief war, in den Händen. Kurz räusperte er sich, als er das Mikrofon etwas verstellt hatte, und begann dann vorzulesen.
"Sehr geehrte Damen und Herren, normalerweise halte ich mich als Mutter gerne im Hintergrund, bin vor allem für meine Kinder da, aber in diesem Fall sehe ich mich doch gezwungen, in die Öffentlichkeit zu treten und mich zu äußern. Ich bin die Mutter von Max Giesinger, der, wie Sie wissen, immer noch ohne Bewusstsein im Krankenhaus liegt. Die Angst, ihn zu verlieren, quält mich jeden Tag. Aber nicht nur mich. Auch seine Freunde, die ihn und mich regelmäßig besuchen, lässt es nicht los. Zu ihnen gehört auch Mark Forster. Sicher, er hat das Auto gefahren, in dem mein Sohn saß, trägt die Schuld an dem Unfall. Doch genauso sicher hat er meinem Sohn nie etwas antun wollen, ihm nur das Beste für sein Leben gewünscht. Weil sie Freunde sind. Doch jeder Mensch macht Fehler und dieser hatte leider diese schwere Verletzung für meinen Sohn zur Folge. Aber es war trotz allem ein Unfall. Dass Mark jetzt dafür öffentlich so angegriffen wird, ist für mich unverständlich. Anstatt uns und ihm in dieser schweren Zeit beizustehen, zu helfen, wieder Boden unter den Füßen zu bekommen, geht es nur um Schlagzeilen. Ist es nicht genug, dass Mark mit diesem Schuldgefühl leben muss, wollen Sie ihm auch noch seinen Beruf als Musiker nehmen, als großartigen Künstler, der er ist? Ich habe Mark verziehen, stehe zu ihm, wünsche ihm von Herzen, dass es ihm bald besser geht und er allein und gemeinsam mit meinem Sohn wieder auf der Bühne steht. Doch dazu braucht es Ihr Mittun. Daher bitte ich Sie, unterstützen Sie uns mit Ihrem Mitgefühl, nicht mit negativen Aussagen. Stärken Sie uns und ihm den Rücken. Er ist ein guter Junge. Ich hoffe für Sie alle, dass Sie nie in eine solche Situation geraten und wenn doch, dass Ihnen liebe Menschen zur Seite stehen und Ihnen helfen. Ich glaube immer noch fest daran, dass alles gut wird. Vielleicht haben meine Worte Sie etwas nachdenken lassen. Alles Gute."
Als er wieder hoch sah, blickte Hannes in viele schweigsame Gesichter. Er hatte versucht, langsam und betont zu sprechen, war den Brief vorher mehrmals durchgegangen. Er drehte den Kopf zu Mark, der mit den Händen vor seinem Gesicht versuchte, die Tränen zu verbergen, obwohl er das leise Schluchzen neben sich durchaus registriert hatte. Dann fiel ihm noch etwas ein.
"Ich möchte noch dazu sagen, dass ich diesen Brief heute unabhängig von dem hiesigen Termin erhalten habe, sie mich aber gebeten hat, ihn vor der Presse vorzutragen. Mark selber wusste davon nichts." Damit setzte er sich wieder, legte beruhigend seine Hand auf Mark's Arm, der ihn daraufhin mit einem leichten Lächeln und tränenverhangenen Augen ansah.
"Dann sind Sie oft im Krankenhaus bei Max Giesinger?" kam eine Frage aus der Menge. Hannes wusste nicht, ob Mark schon bereit war, zu antworten, also übernahm er es, weil ihm auch etwas auf der Seele lag. "Ich weiß nicht, inwieweit es bekannt ist, dass auch Mark Forster bei diesem Unfall schwer verletzt wurde und immer noch mit den körperlichen Folgen zu kämpfen hat. Was sich bis zum Tourstart natürlich gelegt haben wird. Aber ja, wir und auch Herr Forster sind regelmäßig bei Max im Krankenhaus. So, wie es sein Zustand eben zugelassen hat."
Eine blonde Frau hob eine Hand. Der Redakteur der 'Zeit' deutete ihr an, zu sprechen. "Können Sie uns vielleicht doch Informationen geben, wie dieser Unfall geschehen ist, welche Ursache vorlag?" Nun räusperte sich Mark und nahm seine Hände runter. Er schüttelte den Kopf, meinte dann aber: "Ich kann mich an den Unfallhergang leider nicht erinnern. Und Sie dürfen mir glauben, ich wünschte mir, ich wüsste, wie er passiert ist."
Hannes war froh, als er Mark's ziemlich gefestigte Stimme hörte, lehnte sich zufrieden etwas zurück. "Haben Sie denn die Absicht, Ihre Tournee in dem geplanten Rahmen weiterzuführen? Schließlich gehen Gerüchte um, dass etliche Veranstalter dem kritisch gegenüber stehen würden. Sogar ein Abblasen der kompletten Tour soll im Raum stehen."
Mark beugte sich etwas vor. "Natürlich kann ich jeden verstehen, der momentan Zweifel äußert, an mir, meiner Person an sich, an meinem körperlichen oder auch..." Er rieb sich kurz über die Augen. "...ähm, seelischen Zustand. Und ich würde lügen, wenn ich Ihnen jetzt erzählen würde, dass alles in Ordnung ist. Das ist es nicht." Eine kurze Pause entstand und Hannes war etwas angespannt. "Aber ich würde diese Tour gerne fortführen. Ich habe trotzdem Fans, die mich unterstützen, die meine Band und mich sehen wollen, viel Geld dafür ausgegeben haben, eine Crew, die so hart dafür gearbeitet hat. Auch die Veranstalter selber hätten ein Problem. Es wäre nicht fair, sie alle im Stich zu lassen. Und es sind noch ein paar Wochen bis dahin."
Das Zittern in Mark's Stimme war nicht zu überhören, doch Hannes war stolz auf seinen Freund. Ein älterer Mann ergriff das Wort. "Meinen Sie, dass das richtig ist, an die eigene Karriere zu denken, im Angesicht dessen, dass ihr Freund im Koma liegt?" Hannes musste schlucken. Was für eine Frage.
Mark atmete hörbar aus, rieb sich wieder über die Augen. Hannes bemerkte, wie ihm Tränen über die Wangen liefen. "Wenn Sie mich fragen wollen, ob es leicht ist, dann muss ich Ihnen sagen, nein, das ist es nicht. Max ist mein Freund und wie soll es mir gut gehen, solange es ihm so schlecht geht. Aber wie ich schon sagte, so eine Tournee ist nicht nur das Produkt eines Einzelnen. Würde es nur um mich gehen...die Entscheidung wäre schon längst gefallen."
Überraschenderweise hob der Redakteur neben Mark plötzlich den Arm und stand auf. "Die anberaumte Zeit ist nun leider vorüber. Sie haben noch kurz Gelegenheit Fotos zu machen, dann würde ich diese Konferenz für beendet erklären. Ich danke Ihnen für Ihr Interesse." Dann wandte er sich Mark und Hannes zu, grinste. "Jetzt haben Sie ja, was Sie wollten. Da können Sie zufrieden sein." Er gab ihnen die Hand und verabschiedete sich. Hannes sah ihm verständnislos hinterher. Die Zeitung hatte die Story, die sie wollte, alles andere war egal.
Sie blieben noch sitzen, bis der Raum sich geleert hatte, die letzte Person gegangen war. Erst dann rutschte Hannes zu Mark, der nun still und in sich gekehrt da saß, zog ihn in eine innige Umarmung. "Haste gut gemacht." murmelte er dabei. Auch Nati und Nitti standen nun bei ihnen, griffen auch um sie rum und drückten sie fest. "War stark." Nati wollte sich erst überhaupt nicht mehr lösen, gab ihrem Bruder und Hannes dann einen Bussi auf die Wange.
Dann ging sie ein paar Schritte weg von ihnen. "Lasst uns heim gehen." Sie lächelte alle an, kam zurück und zog dann ihren Bruder an der Hand nach oben. "Ich hab Hunger."
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Fate
FanfictionWenn das Schicksal einen herausfordert, emotional durcheinanderwirbelt, man nicht mehr weiß, wo man steht, wer man ist. Das muss Mark Forster am eigenen Leib erfahren, lernen, mit Gefühlen und Gedanken umzugehen, die ihn zermürben und niederschmett...