-8-

689 42 17
                                    

Scarlett

Der rote Flyer in meiner Hand leuchtet mich praktisch an, als ich ihn aus meiner Tasche hole:

Die Stadt braucht dich!

Komm am Dienstag um 10 Uhr zum Rathhaus und helfe damit deiner Stadt und der Umwelt!

Seit der unangenehmen Begegnung mit Brandon ist fast ein ganzer Tag vergangen und trotzdem koche ich immer noch bei dem Gedanken an ihn.

Er ist arrogant genug zu denken, er könnte jede und alles haben.
Dieses Arschloch denkt, ihm gehört die Welt.
Doch hier hat er sich mit der falschen angelegt!

Seit der Trennung meiner Eltern vor 3 Monaten wollte ich etwas noch nie so sehr wie zu sehen, wie aus dem arroganten Arschloch ein... ähm... - Man ich habe keine Ahnung, was ich will!-

Ich will nur, dass ihm die Zunge da im Hals stecken bleibt, wo die meiste Scheiße herauskommt!
Oh ja!
Das will ich.

Seit der Trennung meiner Eltern habe ich viele Theorien aufgestellt, warum sie sich getrennt haben.
Tag und Nacht lag ich deswegen schlaflos im Bett.

Und meine logischste Theorie ist, dass Dad Mom betrogen hat. Und zwar sehr oft. Denn Mom würde so etwas nie tun.
Außerdem würde das auch erklären, warum Ava sich so komisch verhält.
Ava muss ihn dabei erwischt haben und da sie ein sehr ehrlicher Mensch ist -wofür ich sie so sehr liebe-, hat sie es Mom gebeichtet, weil sie damit nicht klar kam.

Logisch oder?

Ich wollte Ava eigentlich darauf ansprechen, aber ich will nicht, dass sie damit noch häufiger konfrontiert wird.
Also lasse ich ihr Zeit, bis sie das ganze verdaut hat.

Aber genau das ist der Grund, warum mich Parker und Brandon so wütend gemacht haben. Selbst wenn ich wütend auf meine Mutter bin, da sie uns einfach so den Kontakt zu unserem Vater nimmt, ist es nicht fair, was er gemacht hat.

Ich weiß selbst, dass es auch sein kann, dass sie ihn betrogen hat oder er hat einfach Alkoholprobleme bekommen -meine zweitbeste Theorie übrigens-. Aber hilft es nicht jedem, sich an einem Punkt festzumachen, wenn man einfach nur darüber hinwegkommen möchte?

Genauso ist es auch in der Schule in der Middle School bei mir gewesen. Immer im Geschichtsunterricht drehte sich dieser eine Junge zu mir um, der leider so gar nicht mein Typ war. Da ich dachte, dass er auf mich steht, habe ich ihn von nun an täglich ignoriert. Habe aber nie gewusst, ob er es wirklich war.

So bin ich einfach. Wenn ich eine einigermaßen logische Theorie habe, halte ich mich daran fest. Aber das ist ja nichts negatives, oder?

Auch egal. Es ist Dienstag, Feiertag, und Brandon erst wieder am Mittwoch Thema. Bis dahin habe ich Ruhe vor ihm.

"Nochmal sorry Scarlett, dass ich dich da mit mir angemeldet habe. Ich dachte, du könntest ein paar neue Freundschaften gebrauchen." Auf einmal steht Ava in der Tür zu meinem Zimmer und sieht mich mitleidig an.

"Ist schon okay. Sonst wäre ich ja heute eh nicht aus dem Haus gegangen und hätte ihn mit Mom verbringen müssen." Das ist etwas gelogen. Alles ist im Moment besser als die Stadt zu putzen. Aber Ava geht es schlechter als mir und wenn sie das will, dann komme ich als große Schwester selbstverständlich mit...

Ein Lächeln erscheint in ihrem Gesicht. Ich muss zugeben, dass meine kleine Schwester wirklich eine Schönheit ist. Im Gegensatz zu mir hat sie die dunkelbraunen Haare meines Vaters und dessen fesselnde, grüne Augen geerbt. Ich wünschte, ich sähe so aus...

"Wirklich?" Fragt sie und ich nicke bekräftigend.

"Hast du schon etwas gegessen? Wir müssen bald los." Mehr oder weniger geschickt wechsle ich das Thema.

"Ich schätze schon. Du solltest auch etwas essen. Mom hat erzählt, dass du nicht einmal unten warst, um einen ihrer berühmten Pancakes zu essen. Dabei riecht man den Geruch bis in dein Zimmer..." Ich lächle, da ich es süß finde, was für Sorgen sich meine Schwester um mich macht.

Sie weiß selbst, dass auch ich viel durchgemacht habe. Es gab eine unglaublich emotionale Trennung mit meinem damaligen Freund und meine beste Freundin beendete die Freundschaft, weil sie mit der Entferung anscheinend nicht klarkommen würde. Hallo?! Wir leben im 21. Jahrhundert. Schonmal etwas von Whatsapp und Skype gehört? Außerdem gibt es genug Schellzüge, mit denen ich nicht mal 2 Stunden zu ihr fahren müsste.

Im Moment komme ich mit allem aber ganz gut zurecht. Zumindest besser als ich vor 3 Monaten gedacht hatte. Damals glaubte ich noch, ich könnte nie wieder lächeln.

Deswegen mache ich mir auch mehr Sorgen um meine Schwester, deren Augenringe täglich eine Flasche Concealer benötigen und deren Schreihe ich nachts höre, wenn sie aus einem ihrer Albträume hochschreckt. Langsam verzweifle ich daran nicht zu wissen, was meine Schwester hat. Aber zum Glück nur langsam...

"Ich hatte bis jetzt noch keinen Hunger. Fühlst du dich besser, wenn ich mir einen für den Weg zum Rathaus mitnehme?" Sie nickt lächelnd und lässt sich auf meinem Bett direkt neben mir nieder.

"Scarlett... Ist alles okay seit gestern?" Fragt sie, als ich drohe, mich wieder in meinen Gedanken zu verlieren. Ich nicke nur etwas benebelt.

"Man Scarlett! Du verhälst dich so komisch seit gestern. Ich weiß nicht ob du mir zuhörst. Verdammt, ich weiß es nicht mal jetzt!"

"Ava... ich höre dir zu. Es war einfach der erste Schultag. Mach dir weniger Sorgen um mich und kümmere dich mehr um dich." Ich lege den Flyer, den ich immer noch in der Hand halte, in meinen Rucksack und schließe ihn.

"Ich werde mich immer mehr um dich sorgen seit der Trennung unserer Eltern. Ich verdiene kein Mitgfühl..."

"Ava! Du verdienst die Welt! Du bist wunderschön, klug und dir stehen alle Türen offen mit deinem Schauspieltalent. Du hast schon in mehreren Musicals mitgespielt! Und wegen einer Trennung, dessen Grund ich übrigens nicht mal weiß, willst du alles aufgeben und vor dich hin verwesen?" Erschrocken durch meine laute Stimme oder über das, was ich gesagt habe, reißt sie die Augen auf.

"Ich kann dir den Grund nicht sagen... Du wirst mich hassen. Dann willst selbst du mich nicht mehr!" In ihren Augen sammeln sich kleine Tränen, die drohen, ihre zierlichen Wangen hinunterzulaufen.

"Ach Avaaa..." Ich schlinge meine Arme um sie und drücke sie fest an mich. "Niemand will dich nicht. Und wenn doch, dann verdient er dich nicht."

Da sie nichts weiter dazu sagt, verharren wir für einige Minuten in dieser Position, bis Mom uns nach unten ruft.

Und schon brechen wir auf, diese verdammte Stadt zu putzen, in der ich erst seit 3 Monaten lebe...

[~]

Eine halbe Stunde später erreichen wir zu Fuß das Rathaus.

Das Rathaus unserer Stadt ist unglaublich groß und wirkt von nahem noch gigantischer und monströser wie auf den Postkarten, die mir Mom gezeigt hat, als wir hierherziehen sollten.

Auch Ava scheint sprachlos zu sein. Ich lächle kurz und bin froh, dass es Ava etwas besser geht. Seit 3 Monaten gibt es außer der Trennung fast kein Gesprächsthema.

"Schönen lieben Tag. Ich bin hocherfreut, dass Sie beiden es geschafft haben bei unserem umwerfenden Projekt zur Säuberung der Stadt mitzumachen. Bitte sagen Sie mir noch kurz ihre Namen?" Ein eher kleinerer Mann mit verwirrend schriller Stimme und einem Klemmbrett vor der Brust steht vor mir und übertrifft sogar das 1000 Watt Lächeln des Sekretärs von gestern.

"Ich bin Scarlett Norman und das ist meine Schwester Ava."

Er nickt und macht zwei Häkchen auf seiner Liste. "Perfekt. Ich bin überaus entzückt sie heute durch dieses wundervolle Projekt zu führen, damit unsere schöne Stadt wieder rein wird. Warten Sie doch bitte bei den anderen Freiwilligen."

Schon jetzt genervt von seiner Stimme nicke ich und Ava tut es mir gleich.

Dann gleitet mein Blick über die Schar der anderen und -Nein! Das ist doch nicht möglich!?- bleibt an dem breiten Grinsen von Brandon Coopers hängen...



Brandon&Scarlett - All I want Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt