„Ich werde dir drei Tage Zeit geben", sagt Kaden, nachdem er in eine unbedeutende Seitengasse gefahren ist. Der Tiger hat sich rasten gelegt. Der Schlüssel steckt im Schloss, und Kaden hat sich halb zu Li-Wen gedreht. „Du wirst während dieses Zeitraumes die ganzen Namen der europäischen Drogenhändler heraussuchen. Ich verlange grundlegende Informationen, die du auf einen Stick übertragen und den du mir aushändigen wirst." Er lässt die Worte wirken. „Ich werde hier warten, ohne meinen Wagen. Bis Mitternacht wirst du Zeit haben. Und falls du eine verdammte Minute überziehst ..." Mit dem Zeigefinger streicht er langsam über den Schaft seiner Schusswaffe. Eine Geste, die Li-Wen erschaudern lässt. „Du weißt Bescheid." Kaden entriegelt den Bugatti. „Und jetzt geh'. Die drei Tage gelten nämlich jetzt."
Die junge Frau zögert nicht länger. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, entfernt sie den Gurt und steigt aus dem Sportwagen.
„Halt, einen Augenblick. Eine Sache wäre noch", hält Kaden sie vom Weggehen ab. „Du hast etwas vergessen." Sie hat die Entscheidung gefällt, nicht mehr mit ihm zu reden. Sein wahres Wesen hat sie mächtig abgeschreckt und eingeschüchtert. Ihr Blick ruht auf Kaden, der in einer Ablage herumwühlt. „Das hier gehört noch dir. Wäre ja schade, wenn du es bei mir vergisst." Kaden hält ihr das Handy und die Waffen entgegen. „Dein Handy haben wir nicht verwanzt, falls du davon ausgehst. Du kannst nachher selbst nachsehen, finden wirst du nichts. Im Gegensatz zu euch sind wir keine Arschlöcher, die unerlaubt andere Geräte abhören." Wortlos greift Li-Wen nach ihren Utensilien. Schiebt das Handy in die Hosentasche und behält die Waffe in der Hand. Jetzt könnte sie Kaden erschießen. „Denk' an meine Worte, Li-Wen."
Er beugt sich zu der Beifahrertür und bekommt den Griff zu fassen. Mit einem Schwung zieht er die Tür zu. Kein Blick, noch nicht einmal ein lasches Lächeln. Der Tiger erwacht aus dem dösenden Zustand und pirscht sich brummend durch die Seitengasse. Dass der Sportwagen überhaupt diese recht schmale Gasse ohne keinen Kratzer passieren kann, ist sonderbar für Li-Wen. Sie starrt ihm nach. Begleitet durch ein kurzes Aufheulen, setzt der Bugatti um die Straßenecke und ist verschwunden. Das geräuschhafte Arbeiten des schweren Motors nimmt zunehmend ab, je mehr Kaden sich von ihr entfernt.
Stumm sieht Li-Wen die Schusswaffe an und fummelt an der Kammer herum, bis diese aufspringt. Die Möglichkeit hätte sie gehabt – alle Patronen stecken in der Kammer. Kaden hat sie nicht herausgenommen. Li-Wen drückt sie zu und sichert die Waffe ein zweites Mal. Versteckt sie unter dem Pullover. Die Beine fühlen sich wie Gummi an, als sie sich zum Ende der Gasse begibt. Leere füllt sie aus, die Stimmen in dem Kopf sind verstummt. Die vergangenen Tage passieren nicht einmal Revue – Li-Wen will sie begraben und aus dem Verlauf löschen. Es bleiben gewiss keine guten Erinnerungen zurück.
Das Bild, das sie von Kaden gezeichnet hat, kann sie von Neuem beginnen. Dieses Mal mit mehr realistischen Zügen. Frei von Illusionen und Schleiern. Wie kann Li-Wen sich so sehr getäuscht haben? Was hat sie veranlasst, zu glauben, dass Kaden ein guter Mensch sei? Warum sind die Lügen hartnäckig sitzen geblieben? Sie könnte sich selbst ohrfeigen. Es ist schlimm genug, dass seine geheimnisvolle und düstere Aura sie angezogen hat. Sie sind alle verlogen und falsch. Niemand hat dort sein wahres Wesen freigelassen. Li-Wen mischt sich unter die Passanten. Es wird Zeit, der Realität ins Auge zu blicken und auf Konfrontationskurs zu schalten. Li-Wen wird sich nicht mehr von Täuschungen hereinlegen lassen. Kaden hat seine Karten verspielt, Li-Wen noch nicht. Ich werde ihn aus dem Rennen holen. Das verspreche ich.
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„In meinem Einsatzteam brauche ich keine Leute, die mit Pünktlichkeit, absoluter Hingabe und Ehrgeiz nichts anzufangen wissen. Es tut mir sehr leid, Miss Chen, diese Verkündung fällt mir alles andere als leicht. Ich habe die Entscheidung gefällt, dass Sie nicht länger ein Part des Stabs sein werden. Sie sind vom Einsatz suspendiert und ausgeschlossen." Herr Felder schiebt die vielen Blätter zu einem unsauberen Stapel zusammen, den er in eine aufgeklappte Akte legt. „Sie können von nun an ihren gewohnten Tätigkeiten nachgehen und die anstehenden Aufgaben in der Verwaltung erfüllen." Ihr Vorsitzender tauscht einen Blick mit den zwei Stabsleitern aus. Sie haben sich bisher von der Konversation ferngehalten. „Gibt es noch etwas mitzuteilen? Falls dies der Fall sein sollte, bitte ich Sie, jetzt ihr Anliegen vorzutragen."
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Ein Atemzug entfernt I
Action"Menschenleben werden dem Geld untergeordnet." Li-Wen Chen, eine Frau, die sich dem deutschen Staat verpflichtet hat, wird auserwählt, um den angehenden Drogenhändler Kaden Larkin aus dem Verkehr zu ziehen. Der Hass steigt an, als sie in einer U-Ba...