VIII

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Ich werde es wie Kaden machen. Ab und zu habe ich diese Bücher in einem der Regale entdeckt, als wir noch gute Freunde gewesen sind. Ich habe wissen wollen, was sie seien und worüber sie handeln würden. Vielleicht Thriller oder Romanzen – Kaden hat gerne alle Genres gelesen. Wie dem auch sei. Er hat mir gesagt, das seien Tagebücher, die er während der Anfangsmonate des Lebens in der Gang angefertigt hat. Er hat damit gerechnet, dass ich lachen würde. Totaler Schwachsinn. Es ist nicht lustig, sondern normal. Man will ein paar, wenn auch beschissene Erinnerungen festhalten. Solche Sachen sind spannend, wenn man erneut zurückschaut.

Ich bin bei Martijn. Also nicht mehr in Berlin, sondern in Potsdam. Eine sehr schöne und interessante Stadt. Martijn hat sich im Zentrum niederlassen können. Geld spiele für ihn keine Rolle; die aus meiner Sicht hohe Miete kann er ohne Schwierigkeiten zahlen. Wie spät es ist? Vielleicht sollte ich die Uhrzeit nennen. Zehn nach halb sieben, abends. Wir sitzen gemeinsam in dem großen Wohnzimmer. Er hat sich in einem gemütlich aussehenden Sessel sinken lassen, ich hocke auf dem Sofa, dieses Buch habe ich an den Beinen angelehnt. Martijn hat einen Nachrichtensender eingeschaltet.

Wie zu erwarten, wird über mich berichtet. Von einer "spektakulären Flucht" sei die Rede. Martijn lacht jedes Mal darüber, wenn die Frau diesen Titel nennt. Selbst ich finde es lächerlich – eine unglaubliche Flucht ist es nicht gewesen. Jeder halbwegs intelligente Verbrecher hätte genauso gehandelt. Also bitte. So viel Hirn braucht man dazu auch nicht. Es gibt Leute, die haben die Szene, der sich auf der Bundesstraße ereignet hat, aufgenommen. Ich kann mich an die verängstige Frau hinter dem Steuer des schwarzen Audis erinnern, nachdem ich aus dem Transporter gestiegen bin. Ich habe sie kurz angesehen, bevor ich abgehauen bin. Sie hat ihr Handy über das Lenkrad gehalten und die Szene aufgenommen. Sei's drum; mich interessiert es nicht.

Aber ich habe vielleicht seltsam ausgesehen, jetzt, wo ich mich selbst beobachte. Habe ich mich wirklich so dumm angestellt? Martijn hat beiläufig erwähnt, dass er in dem grasgrünen Toyota gesessen hat. Der hat sich auf der zweiten Spur, etwas weiter hinten bei einem LKW, befunden. Ich habe den vorher nicht erkannt. Und er ist mir nachgefahren, okay, vielmehr gelaufen, als ich abgehauen bin und diese Wachen erschossen habe.

Jeder ist in höchster Aufruhr. Überall diese Unruhe, dieser Stress. Nur, weil ich erfolgreich verschwunden bin. Soll ich ehrlich sein? Verdammt, ja. Ich bin psychisch nicht mehr ganz so gesund. Angefangen mit Milosz' Unfall, die Steigerung sind die Drogen gewesen. Ich habe, wenn man es so möchte, den größten Scheiß längst hinter mir. Trotzdem kann ich normal sein. Bin ich schließlich jetzt auch.

Sie suchen und suchen. Immer an den falschen Orten. Natürlich weiß Kaden über meiner Flucht Bescheid – Jason hat es mir vor wenigen Minuten geschrieben. Er ist einer der sehr wenigen, zu denen ich noch Kontakt habe. Jason macht keinen Unterschied: Sobald er Leute in sein Herz geschlossen hat, wird er die Beziehung aufrechterhalten. Und er ist vielleicht wütend: Kaden hat inständig gehofft, dass ich hinter Gittern landen werde.

Super. Deutschland und Larkin am Arsch. Besser kann es für mich nicht laufen. Jackpot, würde ich behaupten. Auswandern kann ich nicht: Die würden mich auch verraten. Martijn hat mir erzählt, Polen und Deutschland arbeiten derweil viel enger zusammen. Gott sei Dank werden sie nicht auf die Idee kommen, dass ich mich bei Huuben aufhalte.

Schon komisch, dass er meine Hilfe braucht. Na ja, insgeheim bin ich ihm dankbar, dass er mich im richtigen Augenblick aufgegabelt hat. Er bietet mir Schutz, hat sogar meinen Schatz zurückgebracht. Auf die Kratzer und Dellen vorne an der Stoßstange kann ich verzichten – es wird nicht billig werden, aber wenigstens ist mein Auto wieder bei mir. Huuben hat erwähnt, dass er den Wagen bei einer Behörde gefunden hat. Glaube, beim Zoll oder so. Keine Ahnung. Logischerweise gesichert bis zum geht nicht mehr. Bevor die irgendetwas mitgekriegt haben, ist er schnurstracks durch den Metallzaun gebrettert. Sie haben den Haupteingang abgesperrt.

Ein Atemzug entfernt IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt