„Es ist zwecklos. Er redet nicht." Herr Brunner blickt von der Akte auf, in welche er blättert. „Sie müssen verstehen, dass er ... ja. Er ist psychisch krank. Der Tod seines Bruders hat ihn mächtig zugesetzt. Wäre es nicht angebracht, die Vernehmung zu verschieben? Ich würde ..."
„Lessmann, noch habe ich das Wort." Der andere Beamte klappt die Akte zu und dreht sich zu dem verspiegelten Fenster. Sie können den stummen jungen Mann sehen. Er ist dazu nicht imstande. Dennoch ist sein ausdrucksloser Blick unwegsam zu den anwesenden Beamten gerichtet. „Er hat genug Zeit gehabt. Fünf Monate sind vergangen. Seine Freundin hat sich längst erholt. Zum Reden ist immer Kraft vorhanden." Er tut es weiterhin. „Wir werden so lange weitermachen, bis er gesteht. Irgendwann gibt selbst er nach."
„Denken Sie an die Auszeiten", mahnt sein Nebenmann und wendet sich von ihm ab.
Er geht nicht weiter darauf ein. „Haben Sie gewusst, dass seine Freundin eine ehemalige Angestellte des BKA gewesen ist? Ironischerweise ist sie einst Mitglied einer Sonderkommission gewesen, die Larkins Bande verfolgt hat."
„Nein, das habe ich bisher nicht gewusst. Über ihre Umstände habe ich mich nicht informiert." Herr Lessmann nimmt seine Brille in die Hand und hält sie vor sich. „Ich frage mich vielmehr, was sie getrieben hat, den Staat zu hintergehen. Im Endeffekt hat es ihr nichts weiter als Ärger und Probleme eingebracht."
„Man tut Vieles im Namen der Liebe", meint Herr Brunner nachsichtig und schaut selbst zu Jakub. Seit mehr als zwei Stunden hat er sich nicht bewegt, nicht einmal um wenige Zentimeter. Und dazu dieser emotionslose Blick – der Junge ist offensichtlich psychisch gebrochen. „Da hat es schon etliche Fälle gegeben, die überbieten selbst diese Sache." Hinter ihm ertönt das gleichmäßige Tippen eines Computers. „Jan? Du hast alle Informationen, die ich brauche, zusammengefasst? Ich geh' jetzt zu ihm und werde ihn befragen."
„Wenn ich du wäre, würde ich ihn zurückbringen und warten, bis er von sich aus redet", wirft Herr Lessmann ein und tritt einen halben Schritt beiseite, um eine Angestellte durchzulassen. „Du wirst nichts aus ihm 'rausbekommen. Mensch, sein Bruder ist vor seinen Augen gestorben. Wahrscheinlich geht er sogar davon aus, dass seine Freundin ebenfalls gestorben ist."
„Das ist wunderbar, dass Sie nicht ich sind. Und jetzt sehen sie zu, dass sie die Akte vervollständigen. In drei Tagen wird der Gerichtstermin stattfinden. Das wird eine große Sache werden, wie ich gehört habe. Viel Presse und viele Angehörige von Opfern, die teilweise auf sein Konto gehen." Nur einen Zettel behält er. Eine säuberliche Liste mit allen Verbrechen, die er begangen hat, dazu handgeschriebene Ergänzungen zu seiner umfangreichen Vergangenheit. All die Vorwürfe, mit denen er Jakub Zsaskaski konfrontieren wird. „Sie machen weiter."
„Ich glaube es nicht." Herr Lessmann blickt seinem Kollegen ungläubig nach. Die schwere Glastür öffnet sich automatisch. Um seinen Hals baumelt eine Art Ausweis, die ihm Zutritt zu allen Räumlichkeiten der Direktion gewährt.
Jakub zuckt mit keiner Wimper, als er die mehrfach gesicherte Tür mittels der Karte öffnet. Martin Brunner gibt insgeheim zu, dass dieser junge Mann ihn in der Vergangenheit fasziniert hat. Soweit man ihn unterrichtet hat, weiß er inzwischen, dass Jakub aus schwierigen Verhältnissen stammt und deshalb sein Heimatland verlassen hat. Angefangen hat der Unheil mit einem Verkehrsunfall in Warschau. Die Behörden in Polen und Deutschland arbeiten enger zusammen als vorher; sie haben Jakubs Eltern aufspüren und befragen können. Interessante Details sind ans Tageslicht gekommen. Dinge, die selbst das BKA nicht gewusst hat. Die exakten Gründe für den Drogenkonsum, der Name des Dealers, der ihn zum ersten Mal versorgt hat. Der Unfall, in welchem sein Bruder verwickelt gewesen ist und ein Bein verloren hat.
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Ein Atemzug entfernt I
Acción"Menschenleben werden dem Geld untergeordnet." Li-Wen Chen, eine Frau, die sich dem deutschen Staat verpflichtet hat, wird auserwählt, um den angehenden Drogenhändler Kaden Larkin aus dem Verkehr zu ziehen. Der Hass steigt an, als sie in einer U-Ba...