XIV

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Sie steht abseits des Parkplatzes, irgendwo hinter einem winzigen Geschäft, das man längst nicht mehr betreibt. Das große Schaufenster ist mit einem mehr oder weniger stabilen Gitter versehen, die Tür übersät von schlechten Schriftstücken und sogar Überresten von Plakaten. Li-Wen sitzt in Jakubs Fahrzeug und hat die Musik leiser gestellt. Sie lässt den Blick durch den Innenraum wandern, immer noch sichtbar fasziniert von dem anmutigen Zusammenspiel des tiefen Rots und des eleganten Schwarz. Li-Wen sucht das Handy, welches sie in die Ablage geschoben hat – beinahe hätte sie von Neuem das dauerhafte Vibrieren überhört. Ein Anruf. Von wem, das kann sie erahnen. Und es hinterlässt keine angenehmen Gefühle in ihr. Stille umgibt sie. Li-Wen sammelt sich. Dieses Mal wird sie keine Furcht zeigen.

„Hätte erwartet, dass du mich schon wieder ignorierst. Ich finde es nicht schön, wenn man mich warten lässt, insbesondere dann, wenn es um relevante Angelegenheiten geht." Eine kalte Ruhe, die ihr durch die Knochen kriecht. Langsam, unaufhaltsam. Li-Wen bemüht sich, sie zu ignorieren.

„Ich kann mich nicht aufs Telefonieren konzentrieren, wenn ich gleichzeitig fahre", erwidert sie und beobachtet ein paar Krähen, welche sich um ein Stück Brot streiten. „Anders als du achte ich auf die Gesetze."

„Das lasse ich unbeantwortet. Du hast selbst gemerkt, wie schwachsinnig deine Aussage geklungen hat?" Li-Wens Lippen ähneln einem sehr schmalen Strich. „Also wirklich. Das nächste Mal vorher überlegen, nur so nebenbei." Dieser Hauch des Heiteren zieht vorbei. Zurück bleibt der stählende Ton. „Ich wollte dich daran erinnern, dass ich morgen Abend um elf Uhr abends etwas von dir erwarte. Unsere kleine Vereinbarung. Ich kann's nämlich kaum erwarten, endlich der richtigen Arbeit nachzugehen. Ein bisschen Mühe kann ich schließlich auch auf mich nehmen." Es ist unmöglich zu sagen, welche Gefühle durch ihn gehen. Kaden hält den Ton in der dunklen Stimme so, dass jegliche Deutungen vielseitig sind. Er kann in diesem Augenblick alles sein. Wütend, ruhig, ausgeglichen, genervt. Alles zugleich.

Li-Wen schmeckt Blut. Sie befreit die untere Lippe von den Zähnen und tastet sich mit dem Blick durch den Sportwagen. Das Tier scheint darauf zu warten, in den Schlaf zu sinken. „Als würde ich dies vergessen. Ich verfüge über die Informationen ... Sie sind allesamt auf einem USB-Stick." Li-Wen ballt die freie Hand zu einer Faust. „Ich darf morgen Abend nicht mit dir persönlich rechnen? Hast wohl Angst, dass ich dich überführen könnte, was?"

Kaden mag vermutlich von der provokanten Note gestreift worden sein, jedoch ist er weiterhin Herr über der Beherrschung. Li-Wen überrascht die Tatsache ein wenig. Sie hat insgeheim mit einem gehobenen Ton gerechnet, mit harschen Worten. „Im Gegensatz zu vielen anderen großartigen Geschäftsmännern, die ihrer Eitelkeit gefährlich nachgehen, kann ich zwischen Wahnsinn und Logik unterscheiden. Sicher, es reizt mich durchaus, der Übergabe persönlich nachzugehen. Es würde mir eine immense Freude bereiten, dich wiederzusehen, weißt du? Leider ist es nicht möglich. Ich habe keine Lust auf eine Konfrontation mit deinen Kollegen, die sich dann irgendwo verstecken und darauf warten, mich zu durchlöchern. Nein, darauf verzichte ich dankend. Da gibt's schließlich noch etliche Ziele, die ich erreichen will." Li-Wen hält sich verbal zurück. Kaden hat seinen Part noch nicht beendet. „Ihr würdet mir kurzen Prozess machen – brauche ich nicht. Ich habe immerhin eine ganze Menge zu erledigen."

Ich frage mich gerade, warum es keine Institution es bisher geschafft hat, irgendein technisches Gerät von ihnen zu hacken, um es abzuhören und zu orten. Es muss möglich sein. Ja, ist es durchaus, aber wären da nicht die Wege, um den Prozess mächtig zu erschweren. Kaden ist nicht blöd, die anderen sind es ebenfalls nicht. Was hat er letztes Mal gesagt? Sie hätten irgendeine Art einer speziellen Software? Was für eine? Die kann nie und nimmer so programmiert worden sein, dass sie die modernsten Mittel eines Staates problemlos behindern kann. Sie seufzt tonlos. Ich will mir gar nicht vorstellen, was er alles auf sich genommen hat, um Daten und Standorte zu verstecken und zu verschleiern. Prepaid-Telefone, nur um ein Beispiel zu nennen. Dieses momentane Telefonat wird man nicht zurückverfolgen können, davon ist sie fest überzeugt. Selbst Thilo würde es nicht schaffen.

Ein Atemzug entfernt IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt