Noch nie hat sich eine Autobahn so eintönig angefühlt. Überall die gleichbleibende Schwärze, die gelegentlichen Fahrzeuge, die in hohem Tempo vorbeirasen, die Schatten für wenige Sekunden durchbrechen, ehe sie sich wieder von der Finsternis verschlingen lassen. Nur noch die roten Rückstrahler lassen die Autos erahnen. Li-Wen gähnt leise, dreht die Musik noch leiser, bis die Lautstärke bei der zwölf stehen bleibt. Sie löst eine Hand von dem Lenkrad und fährt sich durch das Gesicht. Jakub hat bisher keinen Anruf gestartet. Kaum schweifen die Gedanken in seine Richtung, blickt sie in den Innenspiegel. Ab und zu hundertvierzig oder hundertfünfunddreißig. Mehr würde ihr kleines Fahrzeug nicht mehr schaffen. Dieses besorgniserregende Brummen zieht oft den Blick auf den Drehzahlmesser – viertausend bis viertausendfünfhundert Umdrehungen.
Jakub bewahrt einen ersichtlichen Abstand zwischen sich und ihr. Sie kann die eleganten Konturen des Sportwagens nur erahnen. Sie lächelt etwas und schaut währenddessen nach vorne. Ein LKW fährt vor ihr. Die junge Frau seufzt kurz, setzt zum Überholen an, nachdem ein weiterer Fahrer vorbeigesaust ist. Die rote Nadel hievt sich auf die hundertfünfzig, während sie den Vorgang durchführt. Die Besorgnis gilt einzig und allein der Verfassung ihres Autos. Sie befürchtet, dass es den Geist aufgeben wird.
„Es wird wirklich Zeit, einen neuen Wagen zu besorgen. Ich höre schon Teile auf die Straße fallen." Li-Wen steuert ihn auf die rechte Spur, Jakub bleibt dicht hinter ihr. „Wie's ihm wohl geht? Hoffentlich schläft er nicht ein." Die junge Frau streckt einen Finger zum Smartphone aus, welches sie an der Halterung angebracht hat. Schnellstmöglich sucht sie seine Telefonnummer heraus, baut die Leitung auf. Es dauert nicht lang, und Jakub reagiert.
„Ich haben mich schon gefragt, wann du werden anrufen. Ich haben vermisst deine Stimme." Sie hört, dass ihm nach Lachen zumute ist. Er unterlässt es. „Seien alles okay? Dein Auto machen mit die Fahrt? Motor klingen nämlich nicht ganz gesund – der überbieten sogar meinen, wenn ich fahren zweihundert."
Im Hintergrund trägt ein bekannter Sänger seine Worte vor, begleitet von schweren Instrumenten. Li-Wen stellt die Musik vollständig aus und legt beide Hände auf das Lenkrad.
„Ach, wir müssten so oder so noch anderthalb Stunden fahren, bis wir endlich da sind. Wir sind laut Navi erst bei Marnitz. Dauert also noch." Im Außenspiegel blitzen die hellen Scheinwerfer eines anderen Sportwagens auf. Ehe sie richtig hinschauen kann, donnert der silberne Audi an ihnen vorbei. „Gut, das sind bestimmt mehr als hundertfünfzig gewesen." Jakub lacht leise. „Hier ist alles in bester Ordnung. Mir geht es gut, ich bin nur etwas müde. Ich glaube, wir machen in einer halben Stunde eine kleine Pause. Ein Kaffee wäre echt angebracht." Sie legt einen Arm auf die Tür. „Gerade noch so. Ich bin jetzt schon bei viertausend Umdrehungen. Bei Tempo hundertachtunddreißig. Ach, nee. Das weiß ich selbst, dass das nicht ganz so angemessen ist. Ich wollte mir spätestens nächsten Monat einen neuen kaufen. Vielleicht einen hübschen Audi A1. Gibt ja genug kleine Flitzer für die Großstadt." Vor ihr dehnt sich genüsslich die wartende Nacht zunehmend aus. Auf den weitläufigen Feldern blinken in einem regelmäßigen Intervall die Lampen der Windkraftanlagen auf, ab und zu hebt sich ein Dorf ab. „Wie geht es dir? Langweilst du dich, weil du nicht 'mal hundertfünfzig fahren kannst?"
„Das seien nicht gewesen schnell. Audi fahren normales Tempo für Autobahn. Können gewesen sein hundertachtzig. Sollen auch sein scheißegal. Ich haben gesagt, dass ich werden mich richten nach dir. Deswegen, meine Liebe, es seien für mich kein Problem. Hey, ich haben sogar gespart viel Sprit. Eigentlich, Anzeige seien schon weniger um drei Punkte. Jetzt nur um einen." Ihm entfährt ein leises Gähnen. „Ich raten dir auch, dass du dir sollen lieber anschaffen neues Auto. Wenn du haben Panne mitten auf Autobahn, das seien echt nicht schön. Dauern verdammt lange, bis Hilfe werden kommen. Das, ich haben schon durch oft genug." In der Ferne funkeln Scheinwerfer. „Viertausend Umdrehungen bei hundertachtunddreißig. Das seien ordentlich. Normal, das seien auch nicht. Wenn du werden kaufen neues Auto und du wollen haben bestimmtes Modell, du sagen mir Bescheid. Ich kennen viele, die verkaufen gute Autos zu sehr gutem Preis. Und Autos seien in perfekten Zuständen. Besonders bei Mann meines Vertrauens. Dem, ich vertrauen an meinen Schatz. Der haben noch nie gemacht Scheiße oder so." Der Ton in seiner Stimme wird mild. „Bei mir, alles seien prima. Ich seien selbst müde und etwas fertig vom Tag ... von den letzten Tagen. Aber ich können fahren ohne Probleme." Etwas raschelt. „Wenn du meinen, du müssen fahren auf Rastplatz, dann du sollen es machen. Ich werden eh sein einverstanden. Pausen seien immer gut."
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Ein Atemzug entfernt I
Action"Menschenleben werden dem Geld untergeordnet." Li-Wen Chen, eine Frau, die sich dem deutschen Staat verpflichtet hat, wird auserwählt, um den angehenden Drogenhändler Kaden Larkin aus dem Verkehr zu ziehen. Der Hass steigt an, als sie in einer U-Ba...