„Dafür, dass es längst elf Uhr ist, ist der Rastplatz echt voll." Li-Wen blickt über den nahezu vollen Parkplatz. Die meisten werden von LKWs besetzt, die ihre Ruhezeiten einhalten. Ab und zu schleicht jemand durch das Halbdunkeln. „Na ja, wenigstens schmeckt der Kaffee nicht nach 'ner abgestandenen Brühe." Sie nimmt einen kurzen Schluck aus dem Becher. „Du siehst nachdenklich aus. Ist irgendetwas?"
Jakub schaut hoch, erwidert ihren forschen Blick. Er verlagert das Gewicht auf das linke Bein, schüttelt anschließend den Kopf.
„Nicht wirklich. Eigentlich, alles seien okay. Ich denken nur nach über Milosz. Mehr nicht." Ein winziges Lächeln wagt sich auf die Lippen. Jakub steht unmittelbar vor seinem Auto und lässt zu, wie das orangefarbene Licht der Straßenlaterne ihn erfasst. Er macht sich nicht die Mühe, sich zu verstecken. Gepflegter Eindruck, besonnte Stimmung. Jakub ist nicht darauf erpicht, tosende Wellen zu schlagen – er wirkt wie ein normaler junger Mann, der seine Familie sehen will. „Hm, eigentlich, ich fragen mich, ob er mich wollen überhaupt sehen ... oder ob er mich vermissen. Er wissen von Drogenproblem, das ich haben. Immerhin, er seien gewesen dabei, als ich seien ausgeflippt in Schule." Der Pole dreht den Becher in seiner Hand umher. Wenig später hört er auf und tritt mehr in das Licht der Laterne. „Was seien, wenn er wollen mich nicht sehen? Oder, er werden mich nicht mehr erkennen? Ich meinen, ich haben ... Du sehen es doch selbst." Er deutet auf sich; sie starrt die unverkennbare Wunde an, die sich zu einer rosafarbenen Narbe wandelt. „Ich seien nicht mehr wie früher. Vor allem nicht, seit Kaden haben mir angetan diese Scheiße."
Li-Wen seufzt leise, stellt den Becher auf das Dach ihres Autos und geht zu ihm. Sie vor ihm stehen, ist genau auf Augenhöhe mit Jakub.
„Auch wenn es schwer fällt oder es albern klingt, aber du solltest nicht darüber nachdenken", rät sie behutsamen Tones und legt ihre Hände auf seine Handgelenke. „Du würdest dich nicht mehr auf ihn freuen. Die Fahrt hätte keinen Anlass mehr. Hey, denk' einfach an die Momente, die morgen schon passieren könnten ... oder sogar schon heute Nacht. Er wird dich wiedererkennen, da bin ich mir ganz sicher. Weißt du auch, wieso?" Sie blickt ihm tief in die Augen. Vertraute Zweifel, eine altbekannte Furcht. „Geschwister vergisst man nicht. Das kann man nicht. Es ist nämlich, als würde man einen Teil von sich selbst vergessen. Du hast mir bewiesen, dass in dir ein Funken Menschlichkeit ist, wenngleich du dich ziemlich verändert hast dank Kaden. Du hast dich niemals ganz aufgegeben. Nicht so wie die anderen von dir." Die Ansätze ihres Lächelns veranlassen Jakub ebenfalls zum Glauben an Hoffnung und Zuversicht. „Milosz wird dich ebenso nicht vergessen – so wie ein Teil von ihm in dir ist, so ist auch Teil von dir in ihm. Du wirst sehen: Es wird alles gut werden."
„Meinen du das wirklich so?" Die Zweifel sind hartnäckig, wie Li-Wen findet. Sie nickt langsam. „Es seien vergangen viele Jahre."
„Und? Das ist völlig irrelevant", bekräftigt Li-Wen und geht mit der Lautstärke herunter, als ein älteres Paar an ihnen vorbeigeht. Jakub wendet ein wenig den Kopf, sodass die Narbe nicht mehr allzu sehr im Mittelpunkt steht. „Zeit vergeht, Erinnerungen bleiben. So einfach ist das." Li-Wen entfernt das Lächeln von ihren Lippen. „Milosz denkt sicherlich auch ganz oft an dich. Auf den Fotos habt ihr gewirkt, als hättet ihr ein sehr enges und besonderes Verhältnis zueinander."
„Oh, das treffen zu sogar." Jakub leert den Becher und entsorgt ihn im Mülleimer. Dieses Mal greift er nach ihren Händen. Sie sind warm. „Immer, wenn Eltern seien gewesen auf Arbeit, er haben sich gekümmert um mich. Wir haben gemacht sehr viel zusammen. Spiele im Garten oder irgendwo in der Stadt. Ich wissen nicht, ob du es wissen, aber ich kommen aus Verhältnisse, die seien nicht normal. Wie nennen man das? Arm? Sozial schwach? Irgendwas in diese Richtung." Der Wind streicht über beide hinweg. Einige Haarsträhnen werden Li-Wen ins Gesicht gepustet. „Das heißen aber nicht, dass wir haben entsprochen Klischee. Geld verballern für Alkohol und Zigaretten und nur sitzen vor Fernseher. Wir seien gewesen Gegenteil. Trotz Arbeit arm. Toll, was? Aber na ja, das seien andere Geschichte. Jedenfalls: Wir haben immer verbracht Zeit zusammen. Er haben mir geholfen, wenn ich nicht haben gewusst Dinge von Schule. Milosz seien ziemlich clever." Wehmut schwebt in dem leisen Ton seiner Stimme. „Ich wollen sein wie er. Leider, es seien nichts geworden."
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Ein Atemzug entfernt I
Action"Menschenleben werden dem Geld untergeordnet." Li-Wen Chen, eine Frau, die sich dem deutschen Staat verpflichtet hat, wird auserwählt, um den angehenden Drogenhändler Kaden Larkin aus dem Verkehr zu ziehen. Der Hass steigt an, als sie in einer U-Ba...