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„Ich komme irgendwie immer noch nicht darauf klar, dass Kaden sich, so gesehen, hinter seinen Leuten versteckt, nur um nicht selbst erwischt zu werden. Sicher, auf einer Art ist es verständlich und logisch – er hat einen deutlich höheren Grat als ihr. Aber anderseits ... Na ja, ich find's nicht mutig, eher feige." Sie steigt in seinen Wagen und nimmt eine bequeme Position ein. „Und dass ihr das ohne Weiteres hinnehmt, das verstehe ich genauso wenig." Die Tür fällt zu, und wenig später sitzt Jakub neben ihr.

„Verstecken nicht unbedingt. Vielleicht ein bisschen, aber nicht extrem. Du sehen selbst, dass er gehen ein viele Risiken. Besonders jetzt mit großen Deals. Behörden an Häfen oder Flughäfen oder anderen sicheren Orten können sich entscheiden, arbeiten gegen ihn, auch wenn Kaden ihnen bieten an viel Geld." Er grinst schief. „Ihr sagen alle, Deutschland seien kein korruptes Land. Alle seien so unbestechlich. Ihr seien auch sehr gutgläubig. Wenn es gehen um viel Geld, Menschen vernachlässigen Vorschriften. Geld regieren Welt. Das treffen zu am besten." Er lugt nach hinten, während er den Sportwagen auf die Straße rollen lässt. Langsam, aufmerksam. „Kaden wissen am besten, wie er kriegen die Leute auf seine Seite. Du sagen nur bestimmte Summe, und sie werden tanzen nach deiner Pfeife."

Li-Wen versucht vergeblich, sich einzureden, dass Jakub in diesem Augenblick nicht weiß, wovon er spricht. Tief in ihrem Innern aber weiß sie, dass er recht hat. Bei Geld endet die Loyalität. Die Persönlichkeit verändert sich – die Gier kommt zum Vorschein. Menschenleben werden dem Geld untergeordnet. Ein Schauder durchläuft sie, und Li-Wen streicht nun über ihre Fingerknöchel. Eine Geste, die ihre Unruhe offenlegt. Jakub hat es gesehen; er tastet nach ihrer linken Hand, umklammert sie. Ein flüchtiges Lächeln legt sich auf die Lippen, und die Unruhe schwächt ein wenig ab.

„Kein Land ist zu einhundert Prozent frei von Korruption", spricht sie leise und blickt nach vorn. Jakub hat den Wagen derweil auf die Straße rollen lassen und passiert die Kreuzung. Eigentlich würde sie das Fahrgefühl genießen, dem tiefen Röhren des Motors lauschen. Heute ist sie dazu nicht imstande – es ist diese Erinnerung, welche sie mahnt, dass heute Abend die Übergabe stattfindet. „Weißt du, wie weit Kadens Einfluss reicht? Bis wohin gehen seine Kontakte?"

Er zeichnet winzige Figuren auf ihrem Handrücken. Die Lautstärke der Musik ist reguliert worden. Li-Wen streckt die andere Hand aus und dreht sie etwas lauter. Vielleicht lenkt die Musik sie ab und treibt die düsteren Gedanken in den Hintergrund. Ganz verschwinden werden sie nie, da ist die junge Frau sich sicher.

„Doch, das, ich wissen ganz gut." Jakub beschleunigt, lässt die leuchtende Nadel auf Mitte sechzig hüpfen. „Er haben es mir gesagt ein paar Mal. Kaden seien darauf besonders stolz. Bis hoch in die politische Ebene. Zu den Spitzenfunktionären, so, er haben es gesagt." Der Pole schlängelt sich problemlos an den einzelnen Fahrzeugen vorbei. „Ich wissen noch, dass er haben dafür gesorgt, dass er und Lieferungen werden kaum kontrolliert – von dieser Spitze, er haben dafür gesorgt. Natürlich nach entsprechender Summe. Unter zweistelliger Millionenbereich, da laufen nichts. Darum, er seien anfangs schnell gegangen pleite. Nicht komplett, aber es seien gegangen an Grenze." Die erste Ampel unterbricht den fließenden Verkehrsfluss. Er lässt ihre Hand los, nimmt immer mehr Tempo, während er derweil das Fahrzeug im Leerlauf lässt. Eine dreispurige Straße, und sie stehen auf dem mittleren. Perfekt zur Schau für die anderen Fahrer.

Es ist eine ungeheuerliche Vorstellung. Ein sehr gefährlicher Einfluss, wie Li-Wen findet. Sie will sich gar nicht ausmalen, was er alles beeinflussen kann. Und wen er auf seine Seite holen kann, sollte der Betrag stimmen. Geld macht alle Menschen blind. Naiv, willenlos, gehorsam. Zum eigenen Vorteil.

„Aber doch nicht auch in meinen Kreisen, oder?", hakt sie nach und legt viele Zweifel in die Stimme. Allerdings verschwinden sie. Besorgnis tritt eher ein. Das trübe Lächeln seinerseits hat die Frage beantwortet. „Deswegen haben sie keine weitere Razzia durchgeführt. Kaden hat sie bezahlt. Und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Aussage meiner Kollegin, die gehört übrigens zu der Sonderkommission, dass demnächst ein Einsatz gegen die untergeordneten Drogenhändler in Deutschland nicht stattfinden wird."

Ein Atemzug entfernt IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt